Die Räumung von Lützerath - Ein Spaziergang, Barrikadenbau, Steine
von Fred Kowasch, Lützerath
08.01.2023
Letzten Dienstag, diesen Sonntag. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während Holzweiler da weitgehend leer war - heute ist hier kaum noch ein Parkplatz zu bekommen. In Lützerath - Barrikade um Barrikade. Überall wird gewerkelt. Aus den drei bis vier Dutzend Aktivisten sind mehrere Hunderte geworden. Auch die Fraktion des 'Black Block' ist mittlerweile zahlreich vertreten. Doch, der Reihe nach.
10 Uhr. Auf der Straße vor dem Friedhof in Holzweiler ist kein Durchkommen mehr. Parkplätze am Rand - Fehlanzeige. Mehrere Hundert Klimaschützer haben sich versammelt, um nach Lützerath zu laufen. Die beiden Kommunikationsbeamten der Aachener Polizei stehen am Rand, sichtlich entspannt. Man kennt sich aus den vergangenen Jahren.
Michael Zobel und Eva Töller - die früher die Waldspaziergänge am Hambacher Forst organisierten - führen die Spontandemo an. Es ist ein sehr gemischtes, sehr bürgerliches Publikum dass sich auf den Weg macht. Hunde, Kinder und ihre Mütter, Väter, Oma und Opa.
Zwischendurch wird öfters einmal angehalten und u.a. daran erinnert, dass die Zerstörung des Immerather Domes in der Nähe auf den Tag exakt fünf Jahre her ist. Es allerdings danach auch gelang, den Hambacher Forst zu erhalten. Jubel, bevor es weiter geht.In Lützerath zerstreut sich der Spaziergang zunehmend. Im Vergleich zu vor fünf Tagen hat sich hier allerhand getan. Die Straße an der Bushaltestelle ist nicht wiederzuerkennen. Plötzlich steht da ein Wohnwagen quer. In ihm liegen Dutzende Plastersteine. Den Weg zur Mahnwache säumen sogenannte Tripots. Auch ein ausrangierter Opel steht plötzlich da. Ihn ziert die Aufschrift: 'Was verrät uns nie? Die Anarchie'. Zur Tagebaukante hin heben Jugendliche - mit Hacken und Spaten - einen Graben aus.
Die Polizei hat sich an diesem Tag zurückgezogen. Zumindest bis zum Nachmittag. Und ihre Fahrzeuge auf der ersten Stufe des Tagebaues geparkt. Hinzu kommt ein massiver Wasseraustritt in der Sole selbst. An der Kante besteht deshalb aktute Abbruch- und damit auch Lebensgefahr.
Ich schlendere durch das Camp der Klimaaktivisten. Zahlreiche Zelte sind dazugekommen. Überall wird gehackt, gesägt und betoniert. Auf einem Info-Board steht auf gelben Klebeband in schwarzer Schrift '10 Uhr Barrikadenbau'. Jeden Tag in der Woche. Außer Montag, da ist Ruhetag (Rest Day).
Während einige (wenige) an der eingerichteten Cafetearia einen Plausch halten, üben andere Seilklettern. Auch wie man einen Stahlcontainer mit der Hand - und einige Baumstämmen - bewegt, ist hier live zu sehen. Ein wenig fühle ich mich an einen Besuch in der Mainzer Straße erinnert. Ost-Berlin, Nachmittag des 12. November 1990. Vor der Räumung der von Autonomen besetzten Häuser. Ist zwar mehr als drei Jahrzehnte her. Aber immerhin ....
Die Atmosspähre an diesem 08. Januar 2023 vor Ort ist entspannt, wirkt auf mich aber durchaus kämpferisch. Hinter dem Container, der nun auf dem ehemaligen Grundstück des Bauers Eckhardt Heukamp steht, werden Gehwegsteine herausgebrochen und mittels von zwei Menschenketten in die Barrikaden zum Eingang verbracht. Mehr als Hundert Menschen sind engagiert dabei. Nicht nur schwarz Vermummte aktiv. Bis dann ein massiver Regenschauer über Lützerath niedergeht.
Dann kommt die Sonne. Am frühen Nachmittag spielt noch eine Band, die bekannte Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält eine Rede. Es gibt ein paar Rangeleien mit der Polizei, die dann mit Pfefferspray einsetzt. Steine fliegen. Auf eine Polizei, die nach Augenzeugenangaben an diesem Sonntagnachmittag hoffnungslos unterlegen ist. Dies wird - mit Sicherheit - nicht so bleiben. Lützerath, NRW und auch der Bundespolitik steht mit der Räumung, die in den nächsten Tagen erwartet wird, eine schwere Woche bevor.
Alle Fotos sind Screenshots von interpool.tv . All Rights Reserved.
+ + + + + + + +
03.01.2023
Das neue Jahr ist keine zwei Tage alt, dann geht es in dem kleinen, besetzten Ort an der Kante zum Tagebau Garzweiler II schon rund. Nix wie hin. In der Morgendämmerung, ich nehme den Weg aus Richtung Süden, überall Straßensperren. Das Auto - an der Kirche in Holzweiler geparkt. Die restlichen zweieinhalb Kilometer gehe ich zu Fuß.
Ich könnte mich - als Journalist - auch bei der Polizei Aachen registrieren lassen. Bekäme dann ein blaues Leibchen zur besseren Erkennbarkeit vor Ort. Und würde - von 8 bis 17 Uhr - von den Behörden mit einem Schuttle nach Lützerath gefahren. Auf dieser Art von 'Embedded' verzichte ich. Die eigene Unabhängigkeit ist wichtiger. Da laufe ich lieber.
Kurz nach acht Uhr werkeln bereits die Baumaschinen - im Auftrag von RWE - an einer Straße rund um das Dorf. Dann übersteige ich ein paar Äste einer Barrikade. Dahinter zelebriert eine einzelne Frau ihre Morgen-Yoga. "Nicht erschrecken." Ein kurzes Gespräch über die Ereignisse vom Vortag. Hier erfahre ich auch, dass gestern Abend noch Aktivisten abgereist sein sollen. Nachdem es ein paar berennende Strohballen bis in die ARD-Tagesthemen geschafft hatten.
Festnahme in der Morgendämmerung. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
Während am Horizont die ersten Bäume fallen, versuchen ein paar Vermummte eine Polizeikette zu durchbrechen. Erfolglos. Ohne Widerstand lässt sich ein Umweltschützer festnehmen, seine Begleiterinnen schauen zu. Mehr passiert erst einmal nicht. Ich gehe um Lützerath herum. Auf der ehemaligen L227 liegen zwei Strahlträger, im Hintergrund arbeitet ein Schaufelradbagger in der Morgensonne. Auch an anderen Barrikaden - die RWE und Polizei den Zugang zum Dorf versperren sollen - sitzen nur wenige Personen. Im Camp selbst, kaum Leben. Am Rande ein paar Teenager, die mit ihren Handys Erinnerungsfotos machen.
Braunkohlebagger in der Morgensonne. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
Nach dem Frühstück, so höre ich aus einem Walkie-Talkie mit dem die Besetzer von Lützerath kommunizieren, soll es ein Plenum geben. Das letzte fand am Abend zuvor statt. Dann ist das Areal um den Zugang zum Dorf verwaist. Präsent sind fünf Menschen, die Presse-Interviews geben. Wenn die Polizei wollte, sie hätte jetzt leichtes Spiel. Mehr als drei, vier Dutzend Besetzer gibt es an diesem 3. Januar 2023 in Lützerath nach meinen Informationen nicht. Bevor nächste Woche die Schule beginnt, so sagt man mir, reisen noch einige ab. Am Nachmittag dann eine Menschenkette. Es werden Lieder gesunden und Gedichte rezitiert. Am frühen Abend wird 'Tag X' ausgerufen. Damit sollen - bundesweit - Unterstützer mobilisiert werden. Die Besetzung von Lützerath hat sie sichtbar nötig.
Besetztes Gebäude in Lützerath. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
08.01.2023
Letzten Dienstag, diesen Sonntag. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während Holzweiler da weitgehend leer war - heute ist hier kaum noch ein Parkplatz zu bekommen. In Lützerath - Barrikade um Barrikade. Überall wird gewerkelt. Aus den drei bis vier Dutzend Aktivisten sind mehrere Hunderte geworden. Auch die Fraktion des 'Black Block' ist mittlerweile zahlreich vertreten. Doch, der Reihe nach.
10 Uhr. Auf der Straße vor dem Friedhof in Holzweiler ist kein Durchkommen mehr. Parkplätze am Rand - Fehlanzeige. Mehrere Hundert Klimaschützer haben sich versammelt, um nach Lützerath zu laufen. Die beiden Kommunikationsbeamten der Aachener Polizei stehen am Rand, sichtlich entspannt. Man kennt sich aus den vergangenen Jahren.
Michael Zobel und Eva Töller - die früher die Waldspaziergänge am Hambacher Forst organisierten - führen die Spontandemo an. Es ist ein sehr gemischtes, sehr bürgerliches Publikum dass sich auf den Weg macht. Hunde, Kinder und ihre Mütter, Väter, Oma und Opa.
Zwischendurch wird öfters einmal angehalten und u.a. daran erinnert, dass die Zerstörung des Immerather Domes in der Nähe auf den Tag exakt fünf Jahre her ist. Es allerdings danach auch gelang, den Hambacher Forst zu erhalten. Jubel, bevor es weiter geht.In Lützerath zerstreut sich der Spaziergang zunehmend. Im Vergleich zu vor fünf Tagen hat sich hier allerhand getan. Die Straße an der Bushaltestelle ist nicht wiederzuerkennen. Plötzlich steht da ein Wohnwagen quer. In ihm liegen Dutzende Plastersteine. Den Weg zur Mahnwache säumen sogenannte Tripots. Auch ein ausrangierter Opel steht plötzlich da. Ihn ziert die Aufschrift: 'Was verrät uns nie? Die Anarchie'. Zur Tagebaukante hin heben Jugendliche - mit Hacken und Spaten - einen Graben aus.
Die Polizei hat sich an diesem Tag zurückgezogen. Zumindest bis zum Nachmittag. Und ihre Fahrzeuge auf der ersten Stufe des Tagebaues geparkt. Hinzu kommt ein massiver Wasseraustritt in der Sole selbst. An der Kante besteht deshalb aktute Abbruch- und damit auch Lebensgefahr.
Ich schlendere durch das Camp der Klimaaktivisten. Zahlreiche Zelte sind dazugekommen. Überall wird gehackt, gesägt und betoniert. Auf einem Info-Board steht auf gelben Klebeband in schwarzer Schrift '10 Uhr Barrikadenbau'. Jeden Tag in der Woche. Außer Montag, da ist Ruhetag (Rest Day).
Während einige (wenige) an der eingerichteten Cafetearia einen Plausch halten, üben andere Seilklettern. Auch wie man einen Stahlcontainer mit der Hand - und einige Baumstämmen - bewegt, ist hier live zu sehen. Ein wenig fühle ich mich an einen Besuch in der Mainzer Straße erinnert. Ost-Berlin, Nachmittag des 12. November 1990. Vor der Räumung der von Autonomen besetzten Häuser. Ist zwar mehr als drei Jahrzehnte her. Aber immerhin ....
Die Atmosspähre an diesem 08. Januar 2023 vor Ort ist entspannt, wirkt auf mich aber durchaus kämpferisch. Hinter dem Container, der nun auf dem ehemaligen Grundstück des Bauers Eckhardt Heukamp steht, werden Gehwegsteine herausgebrochen und mittels von zwei Menschenketten in die Barrikaden zum Eingang verbracht. Mehr als Hundert Menschen sind engagiert dabei. Nicht nur schwarz Vermummte aktiv. Bis dann ein massiver Regenschauer über Lützerath niedergeht.
Dann kommt die Sonne. Am frühen Nachmittag spielt noch eine Band, die bekannte Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält eine Rede. Es gibt ein paar Rangeleien mit der Polizei, die dann mit Pfefferspray einsetzt. Steine fliegen. Auf eine Polizei, die nach Augenzeugenangaben an diesem Sonntagnachmittag hoffnungslos unterlegen ist. Dies wird - mit Sicherheit - nicht so bleiben. Lützerath, NRW und auch der Bundespolitik steht mit der Räumung, die in den nächsten Tagen erwartet wird, eine schwere Woche bevor.
Alle Fotos sind Screenshots von interpool.tv . All Rights Reserved.
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03.01.2023
Das neue Jahr ist keine zwei Tage alt, dann geht es in dem kleinen, besetzten Ort an der Kante zum Tagebau Garzweiler II schon rund. Nix wie hin. In der Morgendämmerung, ich nehme den Weg aus Richtung Süden, überall Straßensperren. Das Auto - an der Kirche in Holzweiler geparkt. Die restlichen zweieinhalb Kilometer gehe ich zu Fuß.
Ich könnte mich - als Journalist - auch bei der Polizei Aachen registrieren lassen. Bekäme dann ein blaues Leibchen zur besseren Erkennbarkeit vor Ort. Und würde - von 8 bis 17 Uhr - von den Behörden mit einem Schuttle nach Lützerath gefahren. Auf dieser Art von 'Embedded' verzichte ich. Die eigene Unabhängigkeit ist wichtiger. Da laufe ich lieber.
Kurz nach acht Uhr werkeln bereits die Baumaschinen - im Auftrag von RWE - an einer Straße rund um das Dorf. Dann übersteige ich ein paar Äste einer Barrikade. Dahinter zelebriert eine einzelne Frau ihre Morgen-Yoga. "Nicht erschrecken." Ein kurzes Gespräch über die Ereignisse vom Vortag. Hier erfahre ich auch, dass gestern Abend noch Aktivisten abgereist sein sollen. Nachdem es ein paar berennende Strohballen bis in die ARD-Tagesthemen geschafft hatten.
Festnahme in der Morgendämmerung. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
Während am Horizont die ersten Bäume fallen, versuchen ein paar Vermummte eine Polizeikette zu durchbrechen. Erfolglos. Ohne Widerstand lässt sich ein Umweltschützer festnehmen, seine Begleiterinnen schauen zu. Mehr passiert erst einmal nicht. Ich gehe um Lützerath herum. Auf der ehemaligen L227 liegen zwei Strahlträger, im Hintergrund arbeitet ein Schaufelradbagger in der Morgensonne. Auch an anderen Barrikaden - die RWE und Polizei den Zugang zum Dorf versperren sollen - sitzen nur wenige Personen. Im Camp selbst, kaum Leben. Am Rande ein paar Teenager, die mit ihren Handys Erinnerungsfotos machen.
Braunkohlebagger in der Morgensonne. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
Nach dem Frühstück, so höre ich aus einem Walkie-Talkie mit dem die Besetzer von Lützerath kommunizieren, soll es ein Plenum geben. Das letzte fand am Abend zuvor statt. Dann ist das Areal um den Zugang zum Dorf verwaist. Präsent sind fünf Menschen, die Presse-Interviews geben. Wenn die Polizei wollte, sie hätte jetzt leichtes Spiel. Mehr als drei, vier Dutzend Besetzer gibt es an diesem 3. Januar 2023 in Lützerath nach meinen Informationen nicht. Bevor nächste Woche die Schule beginnt, so sagt man mir, reisen noch einige ab. Am Nachmittag dann eine Menschenkette. Es werden Lieder gesunden und Gedichte rezitiert. Am frühen Abend wird 'Tag X' ausgerufen. Damit sollen - bundesweit - Unterstützer mobilisiert werden. Die Besetzung von Lützerath hat sie sichtbar nötig.
Besetztes Gebäude in Lützerath. Screenshot: interpool.tv . All Rights Reserved.
Tags: Immerath, Lützerath, Black Block, Sonntagsspaziergang