Berlinale 2010
21.02.2010
Filmkritiken von der Berlinale (11.-20.02.2010)
von Hanka Knipper
„The Killer Inside me“ von Michael Winterbottom ist nach seinem Berlinale Gewinner „In this world“ eine Enttäuschung, zeigt er doch einen kranken Serienkiller, der ohne Gewissensbisse die Menschen, die ihm nahestehen umbringt und damit scheinbar davon kommt. Schonungslos wird dabei die sadistisch Gewalt gezeigt, mit der er vorgeht und ist darin schwer erträglich.
VIDEO: "Ghostewriter" - der Trailer zum FilmKeine Videodatei vorhanden!
„Mammuth“
mit Gérard Depardieu ist interessant im Kontrast zu „Làutre Dumas“.
Hier spielt er einen am Rande der Gesellschaft Stehenden, der mit
seinem Motorrad aufbricht, um eine Rentenpapiere aus seinem früheren
Leben einzusammeln. Dabei erinnert er sich an seine bei einem
Motorradunfall umgekommene Freundin. Der Film ist sehr realistisch, mit
Humor inszeniert und unterhaltsam.
„Eine Familie“ von Pernille Fischer Christensen ist ein emotional sehr
berührender Film über eine Familie, deren Vater an Krebs erkrankt, die
schweren Konflikte, die daraus entstehen. Die dichte, sehr reale
Geschichte ist eine Ausnahme im Wettbewerb der Berlinale.
„L’autre Dumas“ von Safy Nebbou
Gérrd Depardieu spielt den lebensfrohen Schriftsteller
Alexandre Dumas, der die Frauen liebt, das gute Essen, den Wein. Neben ihm Benoit
Poelvoorde als sein Co-Autor Auguste Maquet, fleißig, zurückhaltend, in seinem
Schatten. Doch er überrascht seinen berühmten Kollegen, als er einer schönen
Frau wegen heraustritt und die Initiative ergreift und Dumas zum Handeln
zwingt. Das Thema Schriftsteller zieht sich durch die Berlinale. Gute
Unterhaltung verspricht dieser Film in einer historischen Verwechslungskomödie.
„Shahada“ von Burhan Qurbani ist ein wirklich bemerkenswerter Debutfilm. Drei Extremsituationen mit Bezug zum Islam sind miteinander verschachtelt und inhaltlich lose mit einander verwoben. Der Film ist inhaltlich dicht erzählt mit erzählerischen Lücken, die im Laufe des Films gefüllt werden und kleinen Montageschlenkern, die die Erzählweise anreichern und einer bombastischen Musik, die das Kino füllt.
Der türkisch-deutsche Wettbewerbsbeitrag „Bal“ von Semih
Kaplanoglu ist ein Film in dem Zeit keine Rolle spielt. Lange Zeit passiert
kaum etwas und man genießt die schönen Bilder und verliert sich in den eigenen
Gedanken. Es gibt herrliche Landschaften auf der Erde und die Berge in diesem
Film gehören zweifellos dazu. Der Film ist in seiner Ausstattung fast zeitlos
und gäbe es da nicht die modernen Schulrucksäcke und Bleistifte könnte die
Geschichte auch vor hundert Jahren spielen. Beeindruckend der extrem junge
Hauptdarsteller, der eigentlich auch noch für die Schule zu jung wirkt.
VIDEO: "Exit Through the Gift Shop" - der Trailer zum FilmKeine Videodatei vorhanden!„Please give“ von Nicole Holofcener ist endlich mal ein
frauendominierter Film mit der Regisseurin und vielen starken Hauptfiguren, die
sich in verschiedenen Etappen ihres Lebens in der Großstadt New Yorks befinden.
Unterhaltsam, manchmal komisch. Der Film wird als Digitalkopie gezeigt und
verliert auf der großen Leinwand sehr viel an Schärfe und Auflösung und mindert
dadurch den filmischen Genuss.
„San quiang pai an jing qi“ von Zhang Yimou
Als Remake von „Blood simple“ von den Coen Brüdern
angekündigt dankt der Film seine stärksten Szenen diesem Vorbild. Ansonsten
weiß man nicht, wozu man gebeten ist. Klamotte, asiatischer Kampffilm,
Historiendrama oder Krimi aus der schwarzen Serie. Ein Krimi in ein abgelegenes,
chinesisches Haus gelegt, das von mit Pfeilen bewaffneten Polizisten und
persischen Händlern heimgesucht wird. Als Sinnbild der Bedrohung, aber auch
Zeitablaufs sind tolle Zeitraffer Landschaftsbilder verwendet worden. An diesen
Stellen kann aufatmen in dieser konstruierten, absurden Geschichte.
"Greenberg" von Noah Baumbach
Was für ein Schock vom Auftritt der Stars auf dem Roten Teppich in den Film mit ganz normalen Menschen, unvorteilhaft gekleidet, in peinliche Situationen verwickelt, konfus redend. Aber so undramatisiert ist der Film dann auch so banal und langweilig wie das reale Leben. Doch es gab auch positive Stimmen, die gerade diese Nähe zum Alltag zur Reflektion über das eigene Leben und Beziehungen anregt.
“The Ghost Writer“ von Roman Polanski
Packend von der ersten bis zur letzten Minute. Ein Thriller
mit immer neuen Wendungen, in dem alle verdächtig sind und die Grenzen zwischen
gut und böse verschwimmen. Und man möchte ausrufen, na bitte, es geht doch,
einen Film zu machen, der im Kinoformat über die gesamte Filmlänge fesselt und unterhält.
Ewan McGregor verkörpert die Titelfigur souverän und mit ihr erlebt man, wie
Stück für Stück die Schleier lüften und dafür die Situation immer brenzliger
wird.Besonders machten den Premierenabend die Appelle von
Produktion und Publikum, für die Freiheit Roman Polanskis, der die Premiere
seines Films leider nicht miterleben konnte.
"Tuan Yuan" von Wang Quan’an
Der Eröffnungsfilm der Berlinale erzählt in ruhigen, ausgewogenen Bildern die Geschichte, von zwei Liebenden, die sich vor 50 Jahren verloren, wieder finden und wieder verlieren, ein wenig auch vom Konflikt Volksrepublik China und Taiwan. Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und in ihrer Sanftheit wird die Situation, das einer, der auszog, einem anderen die Frau wegzunehmen und von diesem voller Freundschaft und Verständnis aufgenommen wird, voller hintergründigem Humor erzählt. Anders als im Berlinale Gewinner „Tuyas Hochzeit“ 2007, ist man hier nicht in der weiten, steppenartigen Landschaft, sondern man versinkt im Häusermeer der Stadt mit Blick auf die Skyline. Ein schöner, stiller und unaufgeregter Film.
Der lautmalerische Titel „Howl“ ist signifikant für diesen Film. Ein Gefühl wird ausgedrückt wie in Allen Ginsbergs gleichnamigen Gedicht. „Geheul“, der Ruf einer Generation danach, verstanden zu werden. Der Film ist eine Collage aus dem animierten Gedicht mit Figuren, die in ihrer Ästhetik an „Waltz with Bashir“ erinnern, die zweite Ebene ist der Prozess, in dem von Literaturwissenschaftlern der literarische Wert es Gedichtes erörtert wird oder, ob es einfach nur obszön ist. Die dritte Ebene sind schwarz-weiße Rückblenden über Coming out und das Leben des erwachsenen Schriftstellers bis zur Entstehung des Gedichts und die vierte Ebene ist ein Interview parallel entstehend zum Prozess, indem er sich und sein Leben reflektiert. Auf diese Weise und vor allem durch den animierten Anteil wird der Film selbst zu Poesie, auf der man sich erfahrend und assoziierend mit diesem anspruchsvollen Poem auseinandersetzt. Über die Wiederholung einzelner Phrasen in den verschiedenen Anteilen, gewinnt man immer neue Blicke und Einblicke in diese kraftvolle Sprache.
Für interpool.tv auf der Berlinale: Hanka Knipper.