Hinter den Schlagzeilen: Über 'Gegenöffentlichkeit' und die Massenmedien
(Reblog)
Wollen sie nicht? Können Sie nicht? Oder dürfen sie nicht? Wie die Massenmedien den publizistischen Wettstreit verlieren.
von Fred Kowasch
Mitte Mai 2016
Die Aktion 'Ende Gelände' am Pfingswochenende in der Lausitz. Über Twitter kritisieren die Braunkohlegegner immer wieder die fehlende Berichterstattung von ARD und ZDF, monieren dass die Nachrichtenagentur dpa keinen Journalisten vor Ort geschickt hat. Erst nach Ende der dreitägigen Aktion wird in den Massenmedien ausführlicher über diesen Protest berichtet. Der - immerhin - fast zur Abschaltung eines Kohlekraftwerkes führte.
Die Massenmedien: sie brauchen Tage bis sie ein Thema erkennen, seine Relevanz richtig einzuschätzen wissen. Dies war auch bei den sexuellen Übergriffen - überwiegend von Nordafrikanern - an Silvester in Köln nicht anders. Tagelang ignorierten ARD wie ZDF, FAZ und Süddeutsche die Vorfälle, die bei Facebook, Twitter und in Blogs längst ein viel diskutiertes Thema waren.
Dies ist keineswegs ein neues Phänomen. Bereits Anfang der 90er Jahre - ich saß damals als Hospitant im Berliner dpa-Büro - bewerteten Verantwortliche die progromartigen Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen falsch. Trotz heftigen insistieren wurde keine Verstärkung vor Ort geschickt. Als Tags darauf der Mob tobte, Molotovcocktails in das von Asylbewerbern bewohnte Haus flogen, waren nur wenige Journalisten vor Ort. Auch bei anderen Medien verging damals viel Zeit, ehe sie die Tragweite das Themas begriffen. Vorher konnte man fast nur in der sogenannten Gegenöffentlicheit - in linken Szeneblättern, der Taz oder in Alternativradios - Hintergründe zum Thema Rechtsradikalismus erfahren.
25 Jahre später wird wieder über Gegenöffentlichkeit geredet. Nur scheint der Begriff diesmal streng konservativ bis politisch rechts besetzt. Blogs wie pi-news.net (Political Incorrect), Zeitschriften wie die Junge Freiheit und das Monatsmagazin Compact verzeichnen steigende Leserzahlen. Ihre Berichterstattung - u.a. zur Flüchtlingsfrage und zur vermeintlichen Unterdrückung von Informationen - trifft auf ein hohes Interesse.
Aber auch die politische Gegenseite benutzt das Internet im Sinne der Gegenöffentlichkeit. So publiziert die linksautonome Szene Pamphlete, Demoberichte und Informationsleaks über ihre Webseite linksunten.indymedia.org. Erst jüngst sorgte ein Bericht über eine Polizeiinformantin in der Hamburger Antifa-Szene bundesweit für Schlagzeilen. Und: Bewegungen wie ende-gelaende.org erreichen ihre Anhänger via Blog, Twitter, Facebook, Youtube und Periscope. Letztendlich steuern sie damit ihre Aktionen.