Mission Klassenerhalt (IV): Das letzte Heimspiel des Jahres

Es gibt ein Stadion im Leipziger Nordwesten, da scheint die Zeit stehengeblieben, Vergangenheit gegenwärtig zu sein. 1964 wurde hier - im Leutzscher Holz - die BSG Chemie Leipzig völlig unerwartet DDR-Meister. Später spielte der Verein meistens in der zweiten Liga, Staffel C, bis er irgendwann ganz verschwand. Ein paar Unermüdliche fingen - zu Beginn des neuen Jahrtausend - in der 12. Liga wieder neu an. Jahr um Jahr ist 'Chemie' seitdem aufgestiegen, spielt nun in der Regionalliga Nordost. Muss sich dort mit dem 1. FC Lok Leipzig, Energie Cottbus und dem BFC Dynamo messen. Partien mit einiger Brisanz. In 'Mission Klassenerhalt' begleiten wir die Mannschaft durch die Saison.

von Fritz Rainer Polter

18. Ligaspiel + TSG Neustrelitz - Chemie Leipzig 3:0 + Vorletzter Platz mit Dreizehn Punkten
17. Ligaspiel + Chemie Leipzig - Hertha BSC II 0:2 + Platz 16 mit Dreizehn Punkten

Heute bin ich ganz froh, dass der Jens aus der Nähe von Torgau mit dem Auto anreist. Er pickt mich auf, wie die Anglo-Sprechler sagen, und zusammen fahren wir in die Westvorstadt zu Martin, welcher noch gar nicht retour ist vom Kartenkauf für ihn und Jens in der Fleischerei auf der großen Jahnallee. Dann geht es wieder über den Stadtteil Gohlis zum Rathaus Wahren, von da aus natürlich Richtung Veranstaltungshaus Auensee, und auf den Waldparkplatz so nah als möglich an den Alfred-Kunze-Sportpark.
Chemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (2) mail Rainer und JensFoto: Martin Koll


Wir sind sehr früh da, und das Stadion wirkt echt leer. Aber Insider wissen ja: Die Chemie-Fans kommen zumeist auf den letzten Drücker. Jörg und Sven gesellen sich zu uns auf den oberen Norddamm. Dort stehen wir aus Tradition, Jens war schon 1970 dort, und ich 1972 zum ersten Mal in Leutzsch. Manchmal hadere ich mit dieser Position, weil man von überall sonst besser sieht, als vom oberen Norddamm. Was am Tor gegenüber geschieht, lässt sich oft nur erahnen. So auch heute, als so eine Art Wembley Goal revisited fällt. Für Hertha II.

Jörg und ich haben uns eine Dauerkarte gekauft. Damit unterstützt man den Verein, gibt ihm praktisch so eine Art Kredit, sorgt für Liquidität. Das fühlt sich manchmal an wie der Zwang in eine Ehe: Man gibt sein Ja-Wort zu entweder: Stehplatz, Dammsitz, oder Tribüne. Nach unten kompatibel, klar, aber nicht nach oben. Wenn ich mal wieder ganz alleine sein sollte, gehe ich in den Familienblock. Von dort sieht man sehr gut, und entweder erschrecke ich die Kinder mit meinem archaischen Getute, oder sie finden den Opa geil mit seiner komischen Blech-Vuvuzela.
Chemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (28) mail TutenmännerOkay, zum Spiel. Gern würde ich schreiben: Nach dem anstrengenden fight gegen Lok sind bei uns einfach die Körner raus. Wir sind sichtlich am Ende, und die englische Woche hat uns aufgezehrt. Aber so ist es nicht. Trainer Dietmar Demuth bringt im Vergleich zum Lok-Spiel keine neuen Spieler in die Stammelf, und damit ist wieder einmal nominell kein echter Stürmer aufgestellt (Tim Bunge hat aus meiner Sicht andere Aufgaben). Das verwundert mich dann doch. Mit Sacha Rode und Alexander Rodriguez-Schwarz fehlen uns weiterhin zwei wichtige, rekonvaleszente Leute, aber das soll keine Ausrede sein. Eben haben wir noch gesagt: „Wenn erst Bunge und Bury wieder da sind …“. Deren Schwung ist nun wieder völlig raus, das Zusammenspiel mit Jajima versandet im Mittelfeld, vor dem Tor wird der Ball vertändelt, dass einem die Seele blutet. Daran werden auch Rode und Rodriguez-Schwarz nur selten etwas ändern. Können.
Chemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (19) mail Grün Weiße HoffnungChemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (10) mail Super HerthaIn der zwölften Minute kommt das chemische Unheil in Gestalt des Berliner Spielers Shawn Krauter auf unser Tor am Norddamm mit dem Ball durch die Abwehr. Unser Spieler Marc Böttger stochert in den Lauf von Krauter, doch umsonst, und bleibt dann einfach stehen. Dies lässt der Unparteiische noch laufen, doch dann lässt Stefan Karau ein Bein stehen (mehr war da nicht!) , und Krauter nimmt dies (natürlich) dankend an. Maik Haubitz schießt, verlädt unseren Keeper Latte, und schon steht es 0:1. Von Marc Böttger kann ich sagen, dass er infolge absolut hinterher ist, seinen Fehler durch eine wirklich gute Leistung wieder zu relativieren. Für mich ist er heute der beste unserer Jungen in Grün. Zusammen mit unserem franko/kanadischen Torwart, wie eigentlich immer. Klar muss der noch an seinen Abschlägen feilen und justieren, ab da gäbe es ganz andere Baustellen.

Schnell merkt man darauf, dass es heute wieder werden wird, wie zuletzt immer: Chemie rackert, kämpft, und ist bis zum Halbfeld des Gegners ziemlich gut, dann erschreckend harmlos. Wer der Null Grund zum Fallen gibt, und danach selbst keine Tore macht, wird sich schwerlich belohnen. Okay, drei Euro in die Flutlicht-Sammel-Tonne, versprochen. Wird aber erst, o Schreck lass nach, beim nächsten Heimspiel gegen Energie Cottbus. An einer Gelegenheit, nächsten Sonntag beim Auswärtsspiel gegen Neustrelitz irgendwo mitfahren zu können, bin ich dran, aber habe wenig Hoffnung, dass es klappt. Da gab es bisher immer nur Absagen und Vertröstungen. Hertha II spielt mit der ganzen, abgeklärten Routine vom Halb-Bubis, die unter Voll-Profi-Bedingungen trainieren. Das ist heute entscheidend, dagegen vermag Chemie einfach nichts Zwingendes. Athletisches, in den Kombinationen, bei den Torgelegenheiten. Traurig, aber wahr.
Chemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (39) mail Elfmeter verwandelt, Latte verladen
In der 55. Minute fällt dann so eine Art Wembley-revisited-Tor. Der Herthaner Maximilian Pronichev donnert den Ball aus halblinker Position an die vom Norddamm aus gesehen, rechte Latte, der Ball tautzt auf, und springt dann wieder aus dem Torraum raus. Uff, das war knapp. Denke ich, aber denkste, denkste falsch. Der Schiedsrichter Schipke (kein weiteres Wort über ihn, Chemie verliert von selbst, da braucht es die Fehlleistungen der Schiedsrichter gar nicht), gibt das Ding. Auch wenn andere das anders sehen, bin ich mir da nach wie vor nicht sicher. Selbst das Studium der Fernsehbilder kann mein Wembley-Gefühl, dass ich schon, und zwar ohne grün/weiße Brille, in Echtzeit hatte, nicht restlos ausräumen. Aber auch daran liegt es heute nicht. Es reicht wieder einmal nicht gegen clevere Berliner, die im Mittelfeld verzögern, uns aufreiben, die Sache routiniert zu Ende bringen. Die beste Chance gibt es noch in der 66. Minute durch den eingewechselten, Langzeit-Glücklosen Stürmer Tommy Kind, als dieser seine Neuauflage der Uwe-Seeler-Kopfbälle links neben dem Tor am Norddamm in das Toraus bringt.

Was war heute positiv? Der Regen hat endlich aufgehört. Knapp über zweitausend Zuschauer kamen in den AKS, darunter vier mutige Berliner mit einer kleinen Zaunfahne. Wir waren eine große Runde an Freunden auf dem Norddamm. Chemie hat tapfer gekämpft. Erst wird mehr als deutlich, dass wir noch einen Stürmer brauchen, und einen Mann für das offensive Mittelfeld. Wer diese bezahlen soll, wäre eine andere, wahrscheinlich entscheidende Frage. Die Stimmen, welche meinen, die Mission Klassenerhalt sei in arger Gefahr, werden lauter. Ich bin ja bekennender Pessimist und genieße es dann, wenn es anders kommt. Die Frage ist (bei der Situation in der 3. Liga für die Ostteams) eigentlich schon gar nicht mehr, ob Chemie Abstiegs-gefährdet ist. Die Frage muss lauten: Wer denn sonst sollte als Dritter absteigen? Alle Matchbälle wie heute gegen Hertha II, Auerbach, - oder gegen Bautzen im Regionalliga-Spiel, - haben wir glanzlos vergeben. Es gibt Gerüchte, Victoria Berlin sei so gut wie insolvent. Aber darauf soll man sich nicht verlassen, sondern immer aufs neue alles geben. Drum gilt für die Rückrunde, und vor allem gegen das wichtige Spiel gegen den unteren Tabellennachbar, die TSG Neustrelitz: „Auf geht’s, Chemie; kämpfen und siegen!“.
Chemie Leipzig BSG 26.11.2017 versus Hertha 2 Null zu Zwei (69) mail Strafraumszene
Noch eine Anmerkung zu den reißerischen Aufmachungen der Journaille zum Derby: So ein Derby ist kein Friedensgebet! Ein wenig Zündeln finde ich ganz okay, es könnte aus meiner Sicht sogar endlich legalisiert werden. Silvester gibt es auch Feuerwerk, und auf Kinder muss man da auch aufpassen. Kontrolliertes Schwenken in kinderfreien Zonen, warum denn nicht? Raketen in andere Blöcke zu schießen geht hingegen gar nicht. Trotzdem würde niemand bei Chemie diese mit Absicht in Richtung Spieler-Tunnel lenken, da kenne ich wirklich keinen. Allerdings ist es geschehen, ob Absicht, oder verunglückt, ist dabei egal. Deshalb bedauere ich, als normales Vereinsmitglied der BSG Chemie Leipzig, alles Gefährliche und alles, was "mehr-als-das verbale" Unschöne war, das von unserer Seite (die andere geht mich nichts an) im Stadion des 1. FC Lokomotive Leipzig beim Derby geschehen ist. Punkt.

Copyright all words by Fritz Rainer Polter. Fotos: Martin Koll

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16. Ligaspiel + 1. FC Lok Leipzig - Chemie Leipzig - 0:0 + Platz 16 mit Dreizehn Punkten

 

DSCN2081 Fanmarsch 13 hlDas war heute kein guter Tag für Leipzigs Traditionsfußball. Ganz besonders nicht, weil das Spiel, das von seinen Auswüchsen überschattet wurde, auch noch live im MDR übertragen wurde. Sozusagen Reklame pur für den Sport im Osten. Ironie aus. Genutzt hat dies allein den Anhängern des Familienfußballs von RB Leipzig, befürchte ich. Ich habe lange überlegt, ob-, und, wenn ja: inwieweit? ich auf all die Auswüchse abseits des Spieles eingehen soll. Martin, mein fotografischer Co., und ich, wir sind uns so ziemlich einig: Wir stellen jenes in den Vordergrund, was heute positiv war. Wo man selbst dabei gewesen sein muss, um es zu wissen; darauf wollen wir uns konzentrieren. In Wort und Bild. Abseits der Medien-Sensations-Geilheit von Pyro und Krawallen. Darüber berichten andere schon ausführlich. Also los geht’s mit: „Was vom Tage übrig blieb“, aber der Reihe nach:

Martin trifft gegen 10.30 Uhr bei mir in Connewitz ein, und wir laufen gemeinsam entlang der Prinz-Eugen-Straße zum Treffpunkt an der Brücke über dem S-Bahn-Haltepunkt Connewitz. Pünktlich bei unserem Abmarsch beginnt es zu regnen, auch eisig kalt wird es noch einmal. Vor dem Abmarsch, der zirka 11.20 Uhr erfolgt, gibt es dann den versprochenen Fanartikel in Gestalt einer wahlweise grünen oder weißen, wirklich optisch sehr gelungenen Regenjacke. Auch die Größen kann man wählen. Theoretisch. Aber so chaotisch, wie der ambulante Verkauf organisiert war, kam auch viel Frust auf. Manche Verkäufer hatten nur (noch?) eine (natürlich stets: unpassende) Größe; andere keine in jener der beiden Farben, die man gerade wollte. Aber ich will nicht meckern. War schon okay.

Der Anmarsch erfolgt über weitläufige, groteske Winkel und Umwege, die ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Wenn das von uns so gewollt war, na dann Prost. Wenn die Polizei dies so verordnete, sage ich danke für die schöne Park-seeing Tour, aber warum sind wir das gesamte Völkerschlachtgelände nicht auch noch konsequent abgelaufen? Aus meiner Sicht blieb sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg alles absolut friedlich und ruhig. Beinah gespenstig, wie diszipliniert und beherrscht wir Grün/Weiße sein können. Keine Provokationen, keine blöden Bemerkungen, keine brennenden Mülltonnen. Okay, es gab ein oder zwei Böller-Würfe, einer davon natürlich genau wieder dann, als ich vorbei lief. Mensch Leute, ich bin Hi-Fi Freak und Musikästhet, ich brauche mein Gehör noch! Im Nachhinein erfahre ich, dass sowohl unser-, als auch der Treffpunkt der Lokisten am Völkerschlachtdenkmal schrecklich zugemüllt hinterlassen wurden sei. Tja, wer hätte dies auch ahnen können … ;-)
DSCN2087 Fanmarsch 19 hoch zu Ross hl
Was die Begleitung der Polizei auf dem Hin- und Rückweg anbelangt, habe ich die cojones, dafür einmal „Vielen Dank, alles super!“ zu sagen. Ganz ehrlich. Auch die haben sich dezent im Hintergrund gehalten, und nur am Stadion selbst gab es Kameras, die uns dann weniger behagten. Alles in allem hatte ich den Eindruck einer fairen Begleitung, die aber bereit für die Abwehr von Angriffen durch böse Wutbürger waren, welche das „Erlebnis“ über das Spiel selbst stellen. Solche Menschen soll es geben, sagten mir unsere jüngeren Auswärtsfahrer, die regelmäßig von jenen Erlebnis-froh empfangen werden, wenn sie nach den Spielen wieder am Leipziger Hauptbahnhof angelangen.

DSCN2079 Fanmarsch 11 Wasserwerfer hlDie Kontrollen am Marathon-Tor der blau/gelben Rad- und Pferderennbahn sind ebenfalls nicht übermäßig hart, eher duldsam. Hätte ich das gewusst, wäre meine Schalmei heute mit dabei. Auf meine Frage, ob ich dieses furchtbare Schlag- und Mordinstrument in den blau/gelben Pool hinein bekomme, und wo ich es lassen könnte, falls nicht, gab es im Vorfeld keine Antwort. Sehr schade, aber das Ding kennt mein ganzes Leben. Ich mag es nicht verlieren. Wir Martin und ich so anstehen, erhebt sich plötzlich bei denen, die vor uns an den Kontrollen stehen, ein respektvolles Klatschen. Dann tauchen, wie durch Geisterhand, plötzlich unsere Spieler und all unsere Offiziellen und Betreuer auf, bahnen sich einen Weg durch uns. Da ahnen wir schon, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Und, richtig: Stunden später erfahren wir, die Polizei hat unseren Mannschaftsbus als „Fanbus“ interpretiert, und ihn fehlgeleitet. Statt sich auf das Spiel zu fokussieren, darf unser Team noch einmal von außen um das Stadion laufen. Echt die Krönung. Demzufolge wird das Spiel dann auch 15 Minuten später angepfiffen.
Chemie Leipzig BSG 22.11.2017 versus 1.FC Lok Null zu Null (28) mailFoto: Martin Koll, All Rights reserved

Als wir dann drin sind, gibt es wieder einmal keine Verkaufsstände für Stadionhefte. Die Bratwurst- und Getränkeverkäufer stehen alle geschützt hinter Zäunen und reichen durch, hätte man mit dem Heft auch so handhaben können. Martin und ich halten uns etwas abseits vom Hauptblock unserer Fans. Wir stehen rechts hinter den Absperrungen des frei gelassenen Blocks. Wieder einmal werden wir alle sinnlos eingepfercht in einen viel zu kleinen Block für 1200 Auswärtsfans, obgleich rechts daneben endlos Freifläche ist. An der Grenze zu der Gegengerade der Lokisten stehen neben denen lächerliche 20-30 Polizisten. Was soll dieser Unsinn? Hätte man uns mehr Fläche zur Verfügung gestellt, und dafür eine Hundertschaft Polizei zwischen die Trennlinien – ich wage zu behaupten, das ganze Spektakel der Krawalle wäre ausgeblieben. Und zwar nicht wegen Bodennebel, sondern wegen der Abwesenheit desselben. Zumindest was den nichtgeschwenkten-, also: fliegenden Teil des Nebels anbelangt. Ein Schelm, wer denkt, dass die Unterführer der Polizei ihrem heute anwesenden Chef Merbitz einmal zeigen wollten, wie gut sie reagieren können. Und dazu vielleicht gar die eine oder andere Augenscheinlichkeit anbieten. Ein Schelm, ehrlich. Ironie aus.
Chemie Leipzig BSG 22.11.2017 versus 1.FC Lok Null zu Null (216) mail Nochmals alles RotFoto: Martin Koll, All Rights reserved

So gerät das Spiel leider selbst zur Nebensache. Besonders in der zweiten Halbzeit wird die beidseitige Pyroshow immer wieder von Fußballern unterbrochen, welche sich hier wohl im Nebel verirrten. Ironie aus. Beide Vereine kämpfen um jeden Cent, brauchen jeden Cent, aber Teilen der Fanszene ist wohl die eigene Selbstinszenierung wichtiger als das jeweilige finanzielle Wohlergehen. Das daraus auch einmal Geisterspiele als Strafe resultieren können, wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Der Hass zwischen Lok und Chemie bricht sich eben seine Bahn frei, da wird sich wohl kaum noch etwas daran ändern. Die Medien warten darauf, die Journalisten gieren danach. Andererseits kann man das auch ein wenig verstehen: Wann hat man sonst schon einmal Gelegenheit, den jeweils anderen einmal laut und deutlich zu zeigen, was man voneinander hält. Wenn es rein verbal geblieben wäre, würde dies noch angehen. Ich will hier gar nicht auf die geteilte Szene von Lok Leipzig eingehen. Aber wir, Chemie Leipzig, haben eine große Chance verpasst: Denen einmal zu zeigen, dass wir uns an Regeln halten können, moralisch sauber sind, uns vollständig raushalten könnten aus all dem Chaos. Was beim Fanmarsch selbst so gut funktionierte, versagte im Stadion. Klar war die Fanszene von Lok wieder einmal aggressiver. Aber müssen wir da mitmachen?
DSCN2123 Wasserwerfer vor Lok Block
Ach ja, das Spiel. Lok versucht gleich zu Anfang, die Oberhoheit der Heimmannschaft herzustellen, macht Druck, aber so richtig Zwingendes entsteht selten. Chemie hält kämpferisch und läuferisch dagegen, wie ich es in den beiden Derbys zuvor erwartet habe, doch teils noch schmerzlich vermissen sollte. Chemie spielt teilweise richtig gut auf; es fehlt auch da jedoch der letzte, tödliche Pass. In der zweiten Halbzeit kracht ein Fernschuss gegen die Hintertor-Stange des Lok-Torhüters Benjamin Kirsten, viel mehr Zwingendes kam von uns nicht. Lok macht das erwartungsgemäß ein wenig besser, aber so richtig zum Zug kommen sie auch nicht, was für eine Lok ja die Höchststrafe ist, wenn sie nicht zum Zug kommt. Einmal haben wir Glück, als unser jetziger (und auch: deren früherer) Torwart Lattendresse-Levesque einen an die Latte lenkt, als der Lok-Spieler Zickert praktisch allein vor seinem Tor stand. Auch den Nachschuss kann er abwehren, der zweite Nachschuss geht rechts am Tor vorbei. In der Nachspielzeit sind wir sogar dem Tor näher, holen die letzten Körner aus uns heraus. Der Unparteiische Müller aus Cottbus und seine Seitenläufer waren diesmal tadellos und souverän.
DSCN2141 Spielszene 2. HalbzeitNach dem Abpfiff zeigen wir den frühzeitig in ihre Katakomben verschwundenen Blau/Gelben einmal in ihrem eigenen Stadion, wie das ist, wenn man bedingungslos hinter seiner Mannschaft steht. Wenn man eben zusammen steht, wie der Wind und das Meer, ganz egal, ob Sieg oder Niederlage. Wir haben bei denen geschafft, was uns im eigenen Stadion zweimal nacheinander nicht vergönnt war: Wir haben einen höchst wichtigen Punkt geholt! Auf ihrer homepage geben selbst die Lokisten zu, dass wir sie an die Wand gesungen haben. Bei uns ist auch nicht alles eitel Sonnenschein. Aber nach außen sind wir eine unschlagbare Einheit als Fans. „Wir sind Chemie, schreiten voran, ihr werdet sehen: Wir werden niemals untergehen“.
Chemie Leipzig BSG 22.11.2017 versus 1.FC Lok Null zu Null (206) mail Bruno Plache StadionFoto: Martin Koll, All Rights reserved

Beim Abpfiff schwebt über dem Bruno-Plache-Stadion ein friedliches, wunderschönes Abendrot. Nunmehr frei von all den Pyro-Schwaden des Derbys. Jedoch durchzogen von nächtlich-dunklen Wolken. Während unser Trainer Dietmar Demuth auf der Pressekonferenz von einem Vollpfosten mit Bier überschüttet wird. Während der Chemie-Mannschaftsbus auf dem Rückweg von Gewalttätern attackiert wird. Während sogenannte Lok-Fans stundenlang von der Polizei im Stadion festgehalten und überprüft werden. Während bei ihnen 3 mit Haftbefehl gesuchte Straftäter festgestellt und inhaftiert werden. Und andere von ihnen einer Anklage wegen Landfriedensbruchs und anderer Straftaten entgegen sehen. Während die Chemiefans aufbrechen zu einem friedlichen, beinah meditativen Abendspaziergang über den Stadtteil Lößnig nach Connewitz. Während Martin und ich in der Bornaischen Strasse friedlich einen Hähnchendöner verzehren. Und das Abendrot sinkt, und sich die Nacht über Leipzig senkt. Doch hier, in Connewitz, ist sie bunt, tolerant, weltoffen und lebensfroh. Das Viertel lebt und pulsiert. Und das ist gut so. Nun am kommenden Sonntag den Schwung mitnehmen gegen die U19 von Hertha BSC, wenn es wieder heißt: „Auf geht’s, Chemie, kämpfen und siegen!“

All Words and Pictures by Fritz Rainer Polter. All rights reserved

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15. Ligaspiel + Chemie Leipzig - FC Oberlausitz Neugersdorf 0:1 + Platz 16 mit zwölf Punkten

Dreckswetter. Es nieselt. Ich hoffe, das bleibt so, würde der Engländer sagen, aber damit meinen, dass er hofft, es wird nicht schlimmer. Anfahrt mit dem Rad, Kleidung ein wenig angepasst. Handschuhe sind Pflicht bei mir ab November. Martin sitzt heute mit Freunden auf der Tribüne, Jens aus der Nähe von Torgau hat abgesagt. Sven ebenfalls, der hat heute Geburtstag, wünschte sich von seiner Freundin die Erlaubnis zum Stadionbesuch, bekam jene zum Geschenk, und taucht (für mich:) überraschend auf dem Norddamm auf. Der Kerl da sieht aus wie Sven, dachte ich erst, und dann ist es Sven, der mir vorher gesagt hatte, er käme nicht. Hoffen wir also, dass Chemie ihn ebenfalls beschenkt. Trotz schlechten Wetters haben sich um die 2000 Chemiefans in den Alfred-Kunze-Sportpark begeben, dass ist toll. Gästefans sind wieder einmal nicht auszumachen.
Chemie Leipzig BSG 19.11.2017 versus Neugersdorf Null zu Eins (1) mail Copyright all pictures: Martin Koll

 

Auch diese Spiel gibt im Vorfeld wieder eine kleine Geschichte her: In unserer letzten Oberligasaison, der Saison des Aufstieges, haben wir unser Auswärtsspiel bei Inter Leipzig mit 0:1 verloren. Der uns allen noch bezüglich seiner (aus unserer Sicht: fraglichen) Spielleitung in Erinnerung gebliebene Unparteiische Chris Rauschenbach leitet auch unser heutiges Spiel gegen den FC Oberlausitz Neugersdorf, da kommt bei uns natürlich keine Freude auf. Prompt ist es dann im Spiel auch wieder so, dass uns der Stil seines Pfeifens absolut missbehagt, um es mal als Understatement zu formulieren. Des weiteren hatte Inter Leipzig damals einen beim AC Mailand ausgebildeten Spieler namens Bocar Djumo im Kader , der damals das Siegtor für Inter schoss. Der spielt inzwischen beim heutigen Gegner Oberlausitz Neugersdorf  und nennt sich jetzt nicht mehr Bocar Djumo, sondern Bocartelli. Sachen gibts ...
Chemie Leipzig BSG 19.11.2017 versus Neugersdorf Null zu Eins (28) mailChemie trat mit verstärktem Mittelfeld, jedoch ohne einen echten Stürmer an. Max Herrmann, Florian Schmidt und Tommy Kind saßen allesamt auf der Bank. Vielleicht liegt hier der Fehler im Matchplan von Dietmar Demuth, wobei man sich natürlich fragen muss, ob es bei Max Herrmann nach seiner Verletzung schon wieder für 90 Minuten gereicht hätte, und inwieweit Tommy Kind der Mannschaft aktuell überhaupt noch helfen kann. Die Oberlausitzer bekommen in der 12. Minute einen unnötigen, ärgerlichen Freistoß aus für sie günstiger Situation, und ich sehe das Unheil auf das Tor am Norddamm in Gestalt des losgetretenen Balls zufliegen. Der wird für Torwart Julien Lattendresse-Levesque unhaltbar abgefälscht, ansonsten hätte er ihn sicher gehabt. 0:1 in Minute 13 durch Milan Matula aus zirka 20 Metern. Dabei sollte es dann auch bleiben.Chemie Leipzig BSG 19.11.2017 versus Neugersdorf Null zu Eins (8) mail erneute klare TorchanceDer Schiedsrichter behielt sich das Recht vor, praktisch einen jeden Freistoß anzupfeifen, was endlos Zeit kostete. Musste Chemie einen Einwurf machen, beorderte er, besorgt um einen jeden Zentimeter, unsere Spieler immer wieder auf hintere Positionen; die Neugersdorfer, die falsche Einwürfe am laufenden Band produzierten, blieben dafür ungeschoren. Auch, wenn es mir aufgrund deren mannigfaltiger Spielverzögerungen schwerfällt: Bei den Gästen möchte ich Kapitän Ronald Wolf, den Spieler mit der Nummer 5, herausstellen, der seine Abwehr einfach immer wieder außerordentlich gut organisierte. Unser bester Mann war aus meiner Sicht heute der wiedererstarkte Marko Trogrilic, unser Abwehrrecke, die sogenannte Axt vom Balkan.
Chemie Leipzig BSG 19.11.2017 versus Neugersdorf Null zu Eins (17) mail typische Szene....Die in der Mitte der Zweiten Halbzeit eingewechselten Stürmer Kind und Herrmann konnten keine Akzente mehr setzen, die Körner waren, so insgesamt gesehen, raus. Der Schiedsrichter zerpfiff einen jeglichen Spielfluss bei uns. Es war einer dieser Dreckstage, an dem man irgendwie ab der 60. Minute wusste, dass es heute einfach nicht sein soll. Unsere Jungs in Grün kämpften, zeigten spielerisch vielleicht sogar die beste Leistung in dieser Saison, aber waren ein weiteres Mal schwach im Abschluss, belohnten sich nicht. Ich will nicht zu hart ins Gericht gehen mit unseren Jungs. Da gab es Doppelpässe im Mittelfeld, schnelle Gegenstöße und viele kleine gute Interaktionen. Nur vorn fehlt ein Knipser, und unsere Offensivkräfte Bury und Jajima waren heute oft zu eigensinnig, und im Zusammenspiel unglücklich. Latte schlug nach rechts ab, wenn links die bessere Option gewesen wäre, und umgedreht. Wieder und wieder. Blödes, abgefälschtes Dreckstor. David Pokorny, der Torwart der tschechisch-grenznahen Oberlausitzer, entschärfte alles, was von uns seinen Weg zu ihm fand. Neugersdorf hatte praktisch im gesamten Spiel keine einzige Torchance, aber sie verzögerten, reklamierten, zerstörten das Spiel. Und ihre Rechnung ging auf, da die Unparteiischen darauf herein fielen. Aber die wären sowieso ein Kapitel für sich.Chemie Leipzig BSG 19.11.2017 versus Neugersdorf Null zu Eins (45) mail Gelb für verzögernden SchlussmannDunkle Wolken zogen aus, es wurde finster. Selbst die Diablos verstummten immer öfter. Die Niederlage zeichnete sich ab. Ein schwacher Trost, dass Chemie heute als das eindeutig bessere Team verloren hat. Sven (der ohne Handschuhe kam) ist durchnässt, verfroren und bedient. Und das an seinem Fünfundfünzigsten! Bedient bin ich auch. Schade für uns alle. Am Mittwoch gehts dann weiter mit dem brisanten Ortsderby gegen den ewigen Rivalen, die blau/gelben Gärtner vom Südfriedhof, die mit der Werkself der Eisenbahner spielen. Auch die haben heute ihr Spiel verloren, 3:1 gerieten sie beim BFC Dynamo ähnlich unter die Räder, wie wir vor ein paar Wochen. Für die Chemiefans erfolgt die Anreise zum Derby mit einem gemeinsamen Fanmarsch vom überwiegend grün/weißen Stadtteil Connewitz in das überwiegend blau/gelbe Probstheida. Am Sonntag darauf gegen die U19 von Hertha BSC, und zum Jahresabschluss müssen wir noch zum Tabellenvorletzten, der TSG Neustrelitz. Zu Saisonauftakt gleich wieder gegen Cottbus. Da ist insgesamt gesehen wenig drin für uns, ich hoffe auf 4-6 Punkte. Bekommen wir die nicht, wird es verdammt finster mit der Mission Klassenerhalt. Unser Torverhältnis von Minus 18 spricht eine bedrohliche Sprache. Martin und ich sind erst einmal beim Fanmarsch und beim Derby dabei, und wir werden in Wort und Bild berichten, wenn es im Hort der Blau/Gelben nach langer Zeit wieder heißt: Auf geht’s Chemie, kämpfen, und siegen! (Ein Punkt reicht aber auch).

All words: Fritz Rainer Polter. All Pictures: Martin Koll. All rights reserved

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Sachsen-Pokal, Viertelfinale + Chemie Leipzig - Budissa Bautzen 1:0

"Wir hassen den BFC! Wir holen den FDGB-Pokal und werden deutscher Meister. MEISTER!!

Nun gut, heute also, an diesem kalten Novembertag, geht es im Pokal gegen Bautzen, den Bezwinger der Gärtner vom Südfriedhof, der Werkself der Eisenbahner, denen der Zug auf ihrem eigenen Gleis 66 abgefahren ist. Wir dürfen nach dem großartigen Kampfsieg gegen den FSV Zwickau die Chance, unser Gleis 66 (das Gleis unseres Pokalsieges von 1966 auf der Müllerwiese in, richtig: Bautzen! – jedoch gegen Lok Stendhal) noch ein Stück weiter befahren. Und dies natürlich, selbstverständlich, gänzlich ohne Lok, sondern mit der Kraft der richtigen Chemie.
Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (15) mail Einer für Alle alle für Einen
Vor dem Anpfiff - Copyright all pictures: Martin Koll

Nach unserer 3:0 Niederlage auswärts beim Berliner Athletik Klub ist mir das Grinsen erst einmal wieder vergangen. Zu sehr hatte ich mich in die Fata Morgana verliebt, wir würden nun, nach der Rückkehr von Bury und Bunge und deren Zusammenspiel mit Jajima in allen Spielen eine gänzlich andere, neuerstandene Mannschaft sein. Die Realität ist hart, und sie besagt, dass wir in dieser Regionalliga überwiegend auf Profiteams treffen, während wir nach Feierabend trainieren müssen. Die Fitness kann so nicht maximal austrainiert sein, noch viel weniger können die Automatismen abgestimmt sein. Unser Kader ist dünn. Ein jeder Spieler muss in jedem Spiel über die gesamte Zeit stets seine Höchstleistung abrufen, da ist keine Sekunde Zögern, Loslassen oder Abschalten drin. Mit anderen Worten gesagt: Wenn man, wie gegen den BAK, einen Doppelschlag fängt, und 2:0 hinten liegt, ist es auch einmal angebracht, sich in das Unvermeidliche zu fügen: Das man manche Spiele, zumal auswärts, einfach nicht positiv gestalten kann.

 

Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (11) mailNordkurve. 2500 Zuschauer sehen den 1:0 Erfolg über den Lok-Bezwinger Budissa BautzenChemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (19) mail Chemie StammDie Renaissance der 'Kutten'

Trotzdem frage ich mich, als ich nach einem kurzen Gespräch mit meiner Diablo-Connection meine Position auf dem oberen Norddamm beziehe, welches Gesicht unsere Mannschaft heute im Spiel gegen Bautzen wohl zeigen wird. Das Punktspiel in der Regionalliga gegen uns haben die Budissen im Frühsommer knapp gewonnen, unser Ausgleich wäre verdient gewesen, doch wir hatten kein Glück. Ich hoffe darauf, dass Bautzen uns unterschätzt, da sie das vermeintlich stärkere Lok Leipzig so absolut mit 3:0 vernichtet haben. Das sie wähnen, sie hätten nun gegen uns leichtes Spiel. Mein Kumpel Sven, mit dem ich 1969 eingeschult wurde, kommt hinzu, Martin K., mein alter Nachbar aus der Westvorstadt, sitzt heute mal auf der Tribüne und schießt aus dieser Perspektive wieder seine tollen Fotos in gewohnt superber Qualität.

Gegenüber, auf den Südtraversen, wo bei uns stets die Gäste stehen, nehme ich um die 25 reiselustige Fans wahr, die auch noch tschechische und Berliner Fahnen angebracht haben. 20 Auswärts-Fans zu solch einem wichtigen Spiel? Schon alleine darum (denke ich als einer der 2500 Heim-Fans) hätten die es heute nicht verdient, weiter zu kommen. Da mobilisiert man gefälligst das ganze Dorf und bringt auch Frau, Oma, das Aschenputtel und die Schwiegermutter mit.

Beide Teams haben das beste aufgeboten, was heute zur Verfügung steht. Die Budissen machen das Spiel und pressen los. Erspielen sich klare Vorteile und mehrere Chancen. Das kann man getrost für das gesamte Spiel gelten lassen. Ihr entscheidender Fehler indes: Sie stehen viel zu hoch. Insbesondere unser überragender Alexander Bury nutzt dies für seine energischen, schnellen Gegenstöße, deren dritter auch zum Torerfolg führt. Allzu träumerisch passt ein Bautzener Rechtsaußen zu seinem tiefer stehenden Kollegen in das Zentrum (vielleicht galt die Rückgabe auch seinem Torwart). Allzu träumerisch nimmt der Empfänger den Pass an, aber kontrolliert ihn nicht. Bury rennt los wie der Teufel, klaut ihm in einer Art Mario-Basler-Gedächtnis-Aktion den Ball, rennt auf den Torwart zu und haut das Ding sicher rein. Einfach irre, wir liegen vorn in der 20. Minute. Wieder einmal wackelt der Norddamm, und ich tute mir die Seele aus dem Leib. Kurz darauf kommt es zu einer weiteren Großchance durch eine Kombination von Jajima, Bunge und Bury und einem Nachschuss, woraus Zählbares zwingend hätte entstehen müssen. So wird es nun wieder das gewohnte Zitterspiel.
Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (26) mail Trainer und Bank in DeckenChemie-Trainer ist der 62jährige Hamburger Dietmar Demuth

Zur Pause besuche ich Martin auf der Tribüne und treffe den langen Jens vom Bücherinsel-Antiquariat, der sich von da an zu Sven und mir auf den Norddamm gesellt. Wieder wird es eine unserer typischen Abwehrschlachten, denn wie auch Zwickau, Nordhausen, Victoria Berlin und viele andere, ist uns auch dieser Gegner nominell und spielerisch deutlich überlegen. Sie hängen sich auch rein, kämpfen und kratzen, mit zunehmender Tendenz zur Härte und Unfairness. Allzu oft wirkt der Schiedsrichter überfordert, pfeift, und weiß dann nicht, in welche Richtung der Freistoß auszuführen ist. Allzu oft müssen seine Assistenten von der Seitenlinie herein rennen und ihn diesbezüglich beraten. Allzu oft zeigt er den Bautzenern keine Karte, wo sie eine verdient hätten, durchaus auch eine rot gefärbte. Unsere Abwehrhelden Karau und Wajer haben darunter arg zu leiden. Angeschlagen, holen sie das letzte aus sich heraus. Alle geben alles. Allen ist klar: Geht das Ding hier in die Verlängerung, werden wir am Ende unserer Körner sein.
Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (41) mail Das hätte das Zwei Null sein müssenBury ist der helle Wahnsinn, und Jajima ist ein Teufel, der überall Verwirrung und Unruhe stiftet. Genau so einen haben wir gebraucht. Allerdings sollte er seine Tendenz, alles allein lösen zu wollen, einmal überdenken. Ich habe ihn bislang so oft gelobt, da darf ich ihn nun auch einmal kritisieren. Es fehlt oft der Blick für den freien Mann. Die Budissen erspielen sich nicht eine klare Torchance, und was sonst noch so ankommt, wird vom Franko-Kanadier oder unserer Abwehr entschärft. Einmal muss er sich arg strecken, das war noch in der ersten Hälfte. Das tückische an meiner Position auf dem Norddamm ist: Ich sehe ihn fliegen, auch den Ball erreichen, aber erkenne nicht mehr, wohin dieser letztlich rollt. Das Uff! der besser Stehenden klärt mich auf. Glück gehabt, und super, Julien!
Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (61) mail Alles auf RauschDie VIP- und PressetribühneChemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (60) mail Chemie StammFünf Minuten Nachspielzeit gibt Schiri Nixdorf aufgrund der vielen Unterbrechungen. Der gegnerische Torwart rennt mit vor, agiert ohne Selbstkontrolle und streckt unseren Kapitän Karau zu Boden. Aber es hilft den Budissen alles nichts, es wird wieder vollbracht, die 20 Bautzener Fans fahren hängenden Kopfes heim zur Müllerwiese, desgleichen ihre Mannschaft, und Chemie überwintert im Pokal.

Am nächsten Sonntag geht es weiter in der Regionalliga gegen Oberlausitz Neugersdorf, einem unserer möglichen Gegner im Pokal-Halbfinale oder gar im Endspiel. Danach geht es am Mittwoch an den Südfriedhof zu den Gärtnern in Blau/Gelb, einem unserer möglichen Stadtrivalen. Grins. Da wird es wieder heißen: „Auf geht’s, Chemie, kämpfen und siegen!“

Copyright all words by Fritz Rainer Polter, all pictures by Martin Koll

Chemie Leipzig BSG 11.11.2017 versus Bautzen Eins zu Null (64) mail einer von vielen Tumulten der zweiten HälfteAbpfiff.
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Sachsen-Pokal, Achtelfinale + Chemie Leipzig - FSV Zwickau 4:2

achtelfinale1Zwickau! Hätte es nicht ein kleineres Kaliber als Pokal-Los sein dürfen? Viel Hoffnung erfüllt mich nicht, als ich mich mit Jens (der Jens aus der aus der Nähe von Torgau) zum Spiel begebe. Heute leisten wir uns eine Anfahrt mit dem Auto und picken Martin (der hier oft seine fotografischen Glanztaten beisteuert) in der Westvorstadt auf. Wir beziehen wie gewohnt Stellung auf dem Norddamm. Beeindruckende Pyro-Choreos beider Seiten eröffnen den Reigen. Wird teuer werden, vor allem für Zwickau, die praktisch kein Ende diesbezüglich kennen, und überdies auch noch Böller knallen lassen. Mit Ronny Garbuchewski haben die Trabant-Städter einen unserer einstigen Helden im Kader. Kein Star, aber einer, dessen damaliger Abgang vom FC Sachsen Leipzig, unserem Vorläufer, schon wehtat, weil man spüren konnte, dass er jeder Mannschaft helfen kann. Damals. Ich hätte gedacht, dass er heute gegen uns aufläuft. Indes ist er nicht einmal im Kader. Deren aktueller Held, ein anderer Ronny, ein gewisser Ronny König, schon. Von dem wird noch zu reden sein.achtelfinale2Nach 15 Minuten Verspätung geht es erst los, denn die Kurzentschlossenen stehen noch nach Karten an. Wir haben unseren aktuellen Helden, Alexander Bury in der Startelf, das gibt mir Hoffnung. Ich sah ja bereits im Spiel gegen Altglienicke, was der schon wieder so alles bewirken kann, auch wenn er nach eigener Aussage erst bei 70 Prozent der alten Leistungsstärke ist. Und so gestaltet sich dieses Spiel auch: Chemie kombiniert und setzt Akzente nach vorn mit Wucht und Kraft, wie wir es zuletzt in der Aufstiegs-Vor-Saison erlebten. Prompt gibt es in der 5. Minuten einen Freistoß für uns. Daniel Heinze tritt an, Alexander Bury himself verwertet! 1:0, unglaublicher Jubel! Ausgerechnet Bury! Heute liegt was in der Luft, heute geht was für uns. Auf den Wiederanpfiff folgt direkt unser nächster Angriff. Florian Schmidt ist am Ball und stürmt. Wieder wissen sich die „Schwäne“ aus Zwickau in der Minute nicht anders zu helfen, als durch Foulspiel, diesmal im Sechzehner. Der Elfer wird auch gegeben. Eine Sache für den Samurai Jajima Rintaro-san, um es einmal korrekt japanisch auszudrücken. Der hält mutig auf die Mitte, und der Ball schlägt rechts neben den nach links fallenden Hüter der Roten ein. Unhaltbar schien der nicht. Die hätten mal lieber ihren Stamm-Keeper auch im Pokal ranlassen sollen. Zum Glück haben sie nicht, und so steht es nach 7 Minuten 2:0 für uns gegen einen Haus-hoch favorisierten Drittligisten. Wird das wieder einmal eine unserer typisch-chemischen Heldenepos-Geschichten, die man sich noch 20 Jahre später erzählen wird? Ich beginne, daran zu glauben.achtelfinale5achtelfinale13Dann beginnt die große Viertelstunde des Zwickauers Ronny König. Ihm gelingen zwei Kopfballtore in Folge, in der 20. und 23. Minute, bei denen sein Gegenspieler Sebastian Hey kaum Abwehrchancen hat. Traumhaft verwandelt beide Male, - wenn man ehrlich ist, und den Gegner zollt, was des Gegners Konter-Bande ist. Nein, Simon Zoller spielt bei FC in Köln, fragt Laura Wontorra. Natürlich gerade ich wieder ins Straucheln, zweifle am Erfolg. 2:0 über Zwickau, es wäre auch zu schön gewesen. Jetzt sind sie in Fahrt, jetzt werden sie ihre überlegene Spielklasse zum Einsatz bringen können, denkt es defätistisch in mir. Nun gut, haben wir halt mal wieder 15 gloriose Minuten gehabt. Auch was wert. Nehmen wir das mit, gegen die kommenden Gegner in der Regionalliga. Und nun ist erst einmal Pause. Ich bewege mich nicht von der Stelle, denn die bietet mir gute Sicht, und ist ohnehin schwer zu verteidigen gegen die jungen Frauen links neben mir, die andauernd Verstärkung bekommen. Und alle wollen ans Geländer. Aber da kenne ich nichts.

Dieses Spiel schreibt nicht nur Geschichte, es hat auch seine Geschichten. Wie war das noch, als 1983 ein hochgewachsener Spieler der Gärtner vom Friedhof unseren deutlich kleineren Spieler Heiko Scholz (der nun die blau/gelben Gärtner aktuell trainiert) auf dem Weg in die Kabine anging? „Kleener, ihr seid ne sichere Anbauwand, soll er (dieser „er“ könnte Wolfgang Altmann gewesen) sein, dereinst zu Scholz gesagt haben. Eine Anbauwand kostete damals um die 4000,- DDR Mark, gemeint war also die Siegesprämie für die damaligen, einzelnen Lok-Spieler. „Kleener, haste meine Tore gesehen?! – hat Ronny König zu mir auf dem Weg in die Kabine gesagt“, berichtet uns im Hier und Heute im Interview nach dem Spiel unser Abwehrspieler Sebastian Hey. Im Spiel selbst gibt der Sebastian dem Ronny die passende Antwort, als er in der 69. Minute zur erneuten Führung für Chemie einköpft. Ich blase in meine Tute wie ein Irrer! Eben haben wir noch Glück, weil den Zwickauern ein nicht wirklich klarer, jedoch möglicher Handelfmeter nicht gegeben wird; dann befinden wir uns in der Abwesenheit von Pech, weil wir selbst in Führung gehen. Nun werden wir es schaffen, da habe ich keine Zweifel mehr. achtelfinale10achtelfinale8In der 61. Minute kommt dann auch noch unser anderer Langzeitverletzter Tim Bunge zu seinem Einsatz. Wie schrieb neulich jemand hier in dieser Kolumne, sinngemäß: „Wenn die Offensive nach der Genesung von Bury durch dessen Zusammenspiel mit Jajima unter Einbeziehung des genesenen Tim Bunge Automatismen entwickelt und in Fahrt kommt, wird sich noch mancher Gegner wundern, was unsere Mannschaft zu leisten im Stande sein wird!“ Okay, zugegeben: Es war meine eigene Prognose, und sie zu stellen, war so schwer nicht. Aber nennt mich Prophet, denn heute ist es soweit; heute dürfen sich schon einmal die Zwickauer wundern. Sie wundern sich derart, dass sie mit ihrer nicht nur die vor 10 Jahren von unseren schon stark alkoholisierten Fans aus Weißenfels erbeuteten Zaunfahne nicht nur diese, sondern, - als Folge daraus, - auch eine der eigenen Fahnen anzünden. Dumm gelaufen, dieser Reformationstag. Für die. Unterdessen pflückt unser Franko-Kanadier, dem sich der Magen umdreht, wenn er hören muss, wie falsch er ausgesprochen wird, einen jeden Torschuss der Zwickauer ab. Sensationell, was auch er heute wieder leistet.

achtelfinale12Auch dieser Schiedsrichter kennt kein Ende. Gefühlte zehn Minuten Nachspielzeit hat er für Zwickau übrig, in Wahrheit sind es wohl eher sechs. Aber es hilft alles nichts, unser Torgarant, Abwehrspieler Manuel Wajer, macht nach einem von Tim Bunge ausgehendem Konter alles klar und verwandelt zum 4:2! Da können sie nach Hause fahren, die Pyro-Helden, die uns über unser Verhältnis zu unserem Bundesland mit einem Spruchband belehren wollen, auf dem zu lesen steht, was wir denn so alles sehen mögen, wenn bei uns dereinst das Flutlicht angeht. Aber erst einmal haben sie das Sehen: Was Einstellung und Auftreten bedeuten-, ausmachen können! Und sie haben sogar auch noch das nach-Sehen. Wir, der große Teil der der Fans von Chemie Leipzig, stehen nicht für das Wahlverhalten der Viel-zu-vielen in großen Teilen von Sachsen! Wir stehen überwiegend für Weltoffenheit, Empathie und Toleranz. Punkt. Und heute haben wir unsere Ur-eigenen vier Thesen an das Tor des Gegners genagelt, als da wären: Kampf, Wille, Einsatz, Leistung. Der Gegner ist am Boden und schleicht sich aus dem Stadion. Überwiegend. Der Rest bestaunt unsere Feier der Chemischen Reform. Mit dem von unseren Siegen gewohnten, Gänsehaut-produzierenden, Huh!-losem Isländer-Klatsch der Fans mit der Mannschaft. Ein sensationeller Sieg vor Wahnsinns-Kulisse von annähernd 5000 Zuschauern! Dieser Reform-Tag wird uns allen unvergesslich bleiben. Nun ist sogar ein Sieg im Sachsenpokal nicht mehr völlig undenkbar, denn mit Chemnitz ist heute auch der letzte Höher-klassige Konkurrent aus dem Rennen geflogen. Wir haben so viel Selbstvertrauen aus diesem Sieg getankt; wir nehmen, wer auch immer da kommt. Sowas von Reform heute! Auf jeden Fall heißt es dann wieder: „Auf geht’s, Chemie; kämpfen und siegen!“
achtelfinale6Copyright all words: Fritz Rainer Polter. Copyright all pictures: Martin Koll.

p.s.: Die Auslosung der nächsten Ansetzungen im Pokal fand in der Halbzeitpause des Pokalspiels der Gärtner am nächsten Tag statt. Henning Frenzel, einer der Helden der Blau/Gelben aus den 60er und frühen 70er Jahren, griff in den Topf, und loste unserer BSG Chemie den Sieger der dort ja gerade laufenden Partie Lok Leipzig vs.Budissa  Bautzen zu. Nach unserer Steilvorlage gegen Zwickau und unter dem Druck eines 0:1 Rückstandes zur Halbzeit wurde deren Aufgabe für die 2. Halbzeit nicht gerade kleiner. Und alle Heiiligen hatten sie offenbar auch nicht auf ihrer Seite; eher keinen. Aber auch ich bin nicht wirklich glücklich. Die Heiligen hätten uns ruhig einmal einen vermeintlich "machbareren" Gegner in der Auslosung zugestehen dürfen. Aber nein: Lok oder Bautzen, war ja klar. Ich hatte auf Oderwitz oder Radebeul gehofft. Auf die Blau/Gelben wirkte die Auslosung offenbar so demotivierend, dass man sang- und klanglos 0:3 im eigenen Stadion unterging. Sang- und Klanglos hingegen ist Chemie niemals. Zum ersten Mal seit ewiger Zeit stehen wir in einem Wettbewerb wieder vor denen. Das ist doch etwas!

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14. Ligaspiel + Victoria Berlin - Chemie Leipzig 3:0 + Platz 15 mit zwölf Punkten

13. Ligaspiel + Chemie Leipzig - VSG Altglienike 1:1 + Platz 15 (von 18) mit zwölf Punkten


Chemie gegen die Alten Aus Der Klinik oder: Das No-Go mit Sanogo

Heute bin ich (bezüglich meiner direkten Freunde) absolut allein im Stadion und stelle mich zu zwei jüngeren, sympathischen Typen, die ich bereits bei anderen Spielen ein wenig kennen gelernt hatte. Wir reden über den Schock des Vortags, die Eilmeldung zur Blitz-Neuverpflichtung bei unserem heutigen Gegner, der VSG Altglienecke, den uns bereits aus höheren Spielklassen bestens bekannten Stürmer Boubacar Sanogo. Angeblich brauche der nur einen Ball und einen Rasen, hätte er gesagt, so die Medien. Beides wäre auch bei uns zu haben gewesen. Finanzielle Erweiterungen, wie man sie in solchen Fällen mutmaßen darf, hingegen kaum.
HL Chemie vs Altglienicke DSCN1980 Vor dem Anpfiff
Davon einmal abgesehen, mag ich unsere Mannschaft so, wie sie ist. Ehrlich. Gewachsen. Manchmal Kampfschweine Sondershausen (wie Oberst Klink* sagt, wenn er sondergleichen meint). Manchmal eine verschworene Gemeinschaft mit Ansätzen von liebenswerter Gutmütigkeit. Mit der schweren, stetigen Tendenz zu ersterem. Wenn wir die Klasse halten, ist alles okay. Dann bauen wir langsam und in Ruhe die nächsten Schritte auf. Falls nicht, werden wir eben noch gesunder und erleben wieder die Aufstiegseuphorie in der Oberliga. Was rede ich denn da?! Mission Klassenerhalt! Wir bekommen das hin!

Aber manchmal möchte man schon verzweifeln, denn das darf doch einfach nicht wahr sein: Im Sommer dauerte es unendliche zwei Wochen, bis Chemie die Spielfreigabe für den Japaner Rintaro Jajima bekam; die VGS Altglienicke schafft selbiges für ihren Neuzugang Sanogo innerhalb von drei Tagen. Da könnte man fast auf den Gedanken kommen, dass diesbezüglich alles bleibt, wie es war: Früher hatte der Deutsche Fußballbund der DDR die Spieler von Chemie zum „Ehrendienst“ bei der Nationalen Volksarmee immer dann eingezogen, wenn wir sie am dringendsten brauchten. Das bedeutete, dass sie bei einem der „Vorwärts“ Armeesportvereine (Dessau, Frankfurt Oder) 1 ½ halbes Jahr gegen uns spielen mussten, und die „Freigabe“ zur Rückkehr (als ob das laut bestehendem Vertrag des jeweiligen Spielers nicht sowieso automatisch hätte geschehen können) oftmals erst dann bekamen, wenn Chemie rechnerisch bereits aus dem Oberhaus abgestiegen war, oder den Aufstieg in selbiges nicht mehr schaffen konnte. Heute ist das Schicksal auf ähnliche Art nachteilig für uns. Denn somit werden mit Sanogo und Torsten Mattuschka an seiner Seite wieder einmal gleich zwei (wenn auch schon leicht verglühende) Sterne der Ersten und Zweiten Bundesliga vergangener Zeiten im Leutzscher Holz auflaufen.

Bei uns ist leider Abwehrspieler Sacha Rode nicht mit von der Partie, weil er sich in Berlin verletzt hat. Bitter, denn gerade hatte er sich in die Stammelf gespielt und ist nun unglaublich wichtig. Fehlt uns nun schmerzlich. Gegen Nordhausen rettete er noch sensationell auf der Linie. Jedoch gibt es auch Grund zur Hoffnung: Unsere Langzeit-Verletzten Tim Bunge und Alexander Bury sitzen endlich wieder auf der Bank. Schiedsrichter Johannes Schipke aus Halle, um es gleich vorweg zu nehmen, zeigt aus (bestimmt nicht nur meiner) Sicht vor allem in der Zweiten Halbzeit eine unterirdische Leistung. Von 10 Entscheidungen fallen 9 so offensichtlich gegen Chemie aus, wie ich es seit den Zeiten der DDR-Oberliga (ich nenne einmal die Namen Prokop und Stenzel) nicht mehr erlebt hatte. Zunehmend entgleitet ihm das Spiel. In der ersten Halbzeit wurde unser Spieler Jajima eindeutig am Trikot festgehalten, der Glienicker war letzter Mann, allein das Team in Schwarz interessierte dies nicht. Kein Pfiff, keine Karte.

In der sechsten Minute erzielt Lars Schmidt mit einem Schuss aus 30 Metern das 1:0 für uns. Großartig, aber vielleicht ein wenig zu früh, denn wir lassen spürbar nach, ermuntern die Glienicker gar zu Offensivaktionen. Star Sanogo lässt sich im Strafraum der unseren vor Lattendresse einfach mal ohne Kontakt fallen. Mich wundert immer noch, dass Herr Schipke, bei seinem sonstigen Pfeifen gegen uns, … nein; lassen wir das. Halbzeit, geschafft. Allgemeines Uff! In der Pause treffe ich meinen alten Kollegen Jens F. vom Bücherinsel-Antiquariat, der gegen einen Infekt kämpft, und sich vor dem Wind auf die Tribüne flüchtete. Verständlich, denn eigentlich gehört er ins Bett, so wie er leidet, aber für Chemie gibt er alles. Schließlich ist er einer unserer Sponsoren.

Auf dem Weg in die Kabinen zur Halbzeitpause hatte Sanogo unseren Torhüter Lattendresse-Levesque scheinbar eingelullt, so freundlich sah deren Gespräch aus. Und prompt erzielt besagter Neuzugang Sanogo in der 48. Minute auch den Ausgleich aus drei Metern Torentfernung. Trotzdem nicht unhaltbar, denke ich. Und: „War ja klar“, fluche ich leise vor mich hin. Möchte wissen, woher die Potsdamer die Kohle nehmen, um sich den Erfolg eben mal so kurz vor dem Spiel gegen uns einzukaufen. Immerhin, auch was wert: Sie rüsten nach, weil sie wissen, dass es gegen uns geht, und wir immer besser in Fahrt kommen.

HL Chemie vs Altglienicke DSCN2007 Nach dem AbpfiffIn der 62. Minute wechselt unser Trainer Dietmar Demuth unseren Lieblingsspieler der vergangenen Saison, und den seit dem unsäglichen Saison-Vorbereitungs-Testspiel in Sandersdorf Langzeit-Verletzten, ein: Alexander Bury. Ein Gänsehaut-Moment unter großem Jubel unsererseits. Als wäre Elli aus Kansas mit dem tötenden Häuschen endlich auf die böse Hexe Gingema gestürzt, ist sofort ein lange bestehender Bann bei uns gelöst. Von einer Sekunde auf die andere werden wir zu einer völlig anderen Mannschaft, voll an wunderbaren Kombinationen zwischen Bury und Jajima. Bury warf sich in die Zweikämpfe wie ein Berserker und gab keinen Ball verloren. Die ganze Mannschaft wirft sich jetzt wie irre in die Partie, verteidigt das Remis, aber glaubt auch an ihre spielerischen Fähigkeiten, indem sie immer wieder offensive Nadelstiche in Form von Kontern setzt. Und damit durchaus erfolgreich hätte sein können. Aber wir werden zunehmend müde, und die Potsdamer spielen zunehmend ihre Klasse aus. Besonders das rüde, respektlose Auftreten von deren Nummer 17, einem gewissen Louis-Nathan Stüwe, erregt unseren Unmut.

Und natürlich der Schiedsrichter. Immer wieder gibt er „Abseits“ gegen uns, wo aus unserer Sicht keines festzustellen war, immer wieder pfeift er eine jede unserer Offensivaktion scheinbar willkürlich ab. Stellvertretend dafür das angebliche Foulspiel unseres Tor-gefährlichen Abwehrspieler Manuel Wajer in der 92. Minute, als jener allein auf das Tor des Gegners Einschuss-bereit zulief.

Wieder einmal wäre für uns mehr drin gewesen. Aber es war ein Spiel vor knapp zweitausend Zuschauern bei beißendem, kalten Nordwind, das vor allem durch die Präsenz von Bury und dessen Zusammenspiel vor allem mit Jajima Hoffnung auf mehr macht. Ein Punkt bleibt in Leutzsch zum Nutzen der Mission Klassenerhalt. Das Pokalspiel gegen Zwickaus steht nun vor der Tür. Und dann gilt wieder unser: „Auf geht’s, Chemie; kämpfen und siegen!“

*(Oberst Klink ist eine Figur aus der Fernsehserie „Ein Käfig voller Helden“)

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