+ Dokumentarfilm + 'Inside HogeSa' - Von der Strasse ins Parlament (92 min, interpol.tv, 2018) +


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Köln, am letzten Oktobersonntag 2014. Tausende von muskelbepackten Männern, die unter dem Motto 'Hooligans gegen Salafisten' (HogeSa) durch die Kölner Innenstadt ziehen. Hooligans, Türsteher, Rocker, Rechtsradikale. Die Demonstration endet in Ausschreitungen am Hauptbahnhof. Tagelang bestimmen die Ereignisse von Köln, bestimmt das Bild vom umgekippten Polizeibus, die Schlagzeilen. Die Öffentlichkeit fragt sich seither: wie konnte dies passieren? Warum haben die Sicherheitsbehörden geschlafen?

In der Folgezeit dominieren - in Ost wie West - 'Pegida'-Demonstrationen das Straßenbild. Im Herbst 2017 schließlich zieht die AfD erstmals in den Deutschen Bundestag ein. Politikwissenschaftler und LKA-Ermittler sind sich einig: 'HogeSa' hat für diese Entwicklung den direkten Anstoß gegeben.



In 'Inside HogeSa - Von der Straße ins Parlament' begleiten wir die Protagonisten der Szene vier Jahre lang. Zum ersten Mal reden rechte Hooligans,'Nationale Sozialisten' und 'Pegida'-Vertreter offen vor der Kamera. Ein 92-Minuten-langer Dokumentarfilm, der einen Einblick in eine Szene gibt, den es so vorher noch nicht gab. Der durchaus schockieren kann.

Wen der Trailer neugierig gemacht hat, kann sich gern den kompletten Film ansehen. Er kostet 4,99 (Ausleihe 48 Stunden) und 9,99 Euro (all). Zusätzlich bekommt er dann bei VIMEO die Interviews mit Tatjana Festerling und 'Captain Flubber' in voller Länge zu sehen. Der Film wurde von uns mit 10.000 Euro selbst finanziert. Aus Gründen der Unabhängigkeit haben wir auf eine Filmförderung und die Unterstützung öffentlich-rechtlicher Sender verzichtet.

'Mission Klassenerhalt' (II) - Mit der BSG Chemie Leipzig durch die Saison

Es gibt ein Stadion im Leipziger Nordwesten, da scheint die Zeit stehengeblieben, Vergangenheit gegenwärtig zu sein. 1964 wurde hier - im Leutzscher Holz - die BSG Chemie Leipzig völlig unerwartet DDR-Meister. Später spielte der Verein meistens in der zweiten Liga, Staffel C, bis er irgendwann ganz verschwand. Ein paar Unermüdliche fingen - zu Beginn des neuen Jahrtausend - in der 12. Liga wieder neu an. Jahr um Jahr ist 'Chemie' seitdem aufgestiegen, spielt nun in der Regionalliga Nordost. Muss sich dort mit dem 1. FC Lok Leipzig, Energie Cottbus und dem BFC Dynamo messen. Partien mit einiger Brisanz. In 'Mission Klassenerhalt' begleiten wir die Mannschaft durch die Saison.

von Fritz Rainer Polter

Vor Spielbeginn konnte ich noch eine begehrte Eintrittskarte für unser Gastspiel beim BFC Dynamo erwerben, dass Ticket für den „Sonderzug zu Mielke“ hatte ich ja bereits. Einen weiteren Wagon für den Zug konnte noch organisiert werden, aber damit ist das Ende der Fahnenstage bei der Bundesbahn für uns auch erreicht. Alle Grün/Weißen individuell anreisenden sind trotzdem aufgefordert, am Bahnhof Gesundbrunnen zu den Zugfahrern zu stoßen zwecks gemeinsamen Anmarsch zum Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Ein wenig schade ist es schon, dass von meinen direkten Freunden niemand weiter dabei sein wird. Insgesamt wird es auf mindestens 1300 Leipziger Gäste-Fans allein durch die Zugfahrer hinaus laufen. Vielleicht schaffen wir sogar bis zu 2000, weil es gegen den Nachfolger eines Vereins geht, welcher bestimmt nicht nur aus meiner Sicht nach 1990 genauso in der Versenkung hätte verschwinden dürfen wie die FDJ. 
Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (06) mail Schiebermeister BFC
Doch dann hätten wir dieses kommende, brisante Spiel nicht vor uns, von dem wir natürlich berichten werden! Auf geht’s, Chemie, kämpfen und trotzen! Er-trotzen. Ein Remis. Mehr wird nicht drin sein, aber schon das wäre ein Erfolg gegen den klaren Tabellenzweiten. Chemie ist on the road again, der Fan-Zug dampft ab in Richtung Hauptstadt. Dies allein zeigt deutlich: Wir sind wieder wer! Niemand wie wir!



11. Ligaspiel + Chemie Leipzig - Viktoria Berlin 1:0 + Platz 15 (von 18) mit elf Punkten
Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (19) mail Torschuss zum 1 zu NullDas Siegtor in der 34. Minute
Foto: Martin Koll (All Rights Reserved)

Wir haben gegen Nordhausen und auswärts gegen Halberstadt kürzlich je einen Punkt ertrotzt, darauf sind wir im Pokalspiel gegen den SV Zeißig mit einer sehr bescheidenen Leistungen glücklich weitergekommen, haben da den FSV Zwickau, den früheren Sachsenring, vor uns und die Chance verpasst, uns spielerisch weiter zu entwickeln, Selbstvertrauen zu tanken und Automatismen zu kreieren; da stand die berechtigte Frage im Raum, wie es nun weitergehen wird mit der BSG Chemie Leipzig und der Mission Klassenerhalt. Werden wir die Miniserie ohne Niederlage halten können, oder wird uns der nominell klar besser aufgestellte, heutige Gegner Viktoria Berlin, im ersten Aufeinandertreffen beider Vereine überhaupt, besiegen?

Den Ortsrivalen vom Südfriedhof haben die Berliner am 6. Spieltag mit 0:1 in dessen eigenem Stadion bezwungen, das gibt zu denken. Doch wir sind Chemie, wir können kämpfen, und da sollen sich noch einige Vereine wundern, was wir leisten können, wenn die Mannschaft erst einmal zu sich selbst gefunden hat. Aus meiner Sicht kann dies vorerst nur so funktionieren, dass wir bei den Heimspielen unseren Alfred-Kunze-Sportpark wieder zur „Festung Leutzsch“ machen, wo die Gegner ins Zweifeln und Straucheln kommen und sich den Schneid abkaufen lassen von einer kämpferischen Mannschaft, die auch gegen spieltechnisch klar bessere Gegner heldenhaft verteidigt und die jeweils notwendigen, glücklichen Tore mit Hilfe des Anhangs und des Fußballgottes macht. Aberwitzig wäre es, anzunehmen, dass wir im Moment gegen Gegner wie Nordhausen oder Viktoria Berlin spieltechnisch mithalten könnten. Das haben wir in Meuselwitz versucht, und was dabei herauskam, haben wir ja deutlich gesehen. Wir müssen Stück für Stück auf unsere Abwehrschlachten aufbauen, immer wieder Nadelstiche mit Kontern setzen, auf die die Gegner nicht vorbereitet sind. Und dann ein glückliches Tor erzielen (natürlich durch den Abwehrspieler Manuel Wajer) und den Sieg unter Einsatz der letzten Reserven bis zum letzten Wadenkrampf verteidigen. Und ich nehme es vorweg: Genau so ist es auch heute gekommen!

 

Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (43) mail chemische JugendAusgestattet mit dieser Hoffnung radle ich mit Jens (der wieder aus der Nähe von Torgau anreiste, trotz Unwilligkeit und Fahr-Verweigerung seiner Harley) und Martin zum AKS, wir treffen Sven auf dem Norddamm. Bei strahlendem Sonnenschein haben insgesamt 2705 Zuschauer den Weg in unser Stadion gefunden, darunter geschätzte 10 Gästefans. Es hätten ruhig ein paar hundert mehr werden können; auch bei uns, aber jene, welche da sind, unterstützen die Mannschaft wieder mit Leib und Seele. Vor dem Anpfiff wird der Berliner Innenverteidiger Tobias Gunte, der Sohn unserer Torwart-Legende Marco Eckstein, durch unseren Stadionsprecher offiziell begrüßt; wohl hauptsächlich, um den jung verstorbenen Vater im Sohne zu ehren. Der Sohn spielte vor einiger Zeit noch für den HFC Chemie, der ja nicht gerade zu den mit uns befreundeten Vereinen gehört. Unsere Ultras lassen ihn dann aber durch ihre Gesänge spüren, was sie über den HFC und die mit den Hallensern befreundeten Ortsrivalen denken. 

Heute und hier begleiten Jens und ich unsere Mannschaft bei den Offensiv-Aktionen oder besonders gelungenen Abwehraktionen wie gewohnt mit unseren Reichsbahn-Signal-Martinshörnern. Allzu oft müssen wir jäh abbrechen, wie auch unsere Offensive, die noch dazu aus meiner Sicht vom Unparteiischen Oliver Lossius aus Bonn, respektive: Sandershausen, aus meiner Sicht immer wieder falsch beurteilt, ergo: abgepfiffen wird. Herrn Lossius habe ich mir schon seit dem Derby unter „problematisch“ verbucht. Viktoria versucht tatsächlich, die Sache spielerisch zu lösen, und ab und zu ahnt und sieht man, zu was die in der Lage sind, wenn sie alles abrufen, und der Gegner sie kombinieren lässt. Auch unterscheiden die hellblauen Berliner sich deutlich angenehm von unseren letzten Gegnern, weil sie eben nicht bei jeder Gelegenheit ins Fallen und Jammern geraten, sondern die Sache aus eigener Kraft und eigenen Mitteln ehrenvoll lösen wollen. So kommen sie nach einer halben Stunde auch dem Führungstreffer gefährlich nahe, aber Sacha Rode rettet auf der Linie für unseren umspielten Torhüter.
Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (20) mail Tor, der Ball ist im Netz, Eins zu NullChemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (21) mail Torjubel kurz nach dem Eins zu NullDoch im Gegenzug erzielen wir in der 34. Minute den Führungstreffer durch eine Volley-Abnahme eines Standards durch Abwehrmann Manuel Wajer. Dagegen kann auch der Berlinert Torwart Dominik Kisiel nichts ausrichten. Und wieder hallt es durch das Leutzscher Holz: Toooor für die BSG Chemie Leipzig! Während nicht nur ich vorher mit einer Punkteteilung mehr als zufrieden gewesen wäre, ist nun die Hoffnung auf mehr erwacht. Wir haben sogar noch zwei hochkarätige Chancen, deren eine wie durch das Eingreifen einer bösen Hexe, gerade so und haarscharf eben nicht herein geht. Die Berliner kommen natürlich auch zu einigen Aktionen mit der Möglichkeit zum Tor, doch wir haben ja „Latte“, der wieder über sich hinaus wächst. So langsam hat unser Trainer seine Startelf gefunden mit Sacha Rode und Alexander Rodriguez Schwarz als Gewinnern in der Defensive, Philipp Wendt neben Rintaro Yajima als Gewinner in der Offensive und Max Herrmann im Sturm. Es scheint so, als ob weder Stürmer Kind noch der merkwürdig Form-schwächelnde Abwehr-Recke Trogrlich in den Überlegungen des Trainers eine Rolle spielen.Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (22) mail Rainer mit der Tute
Nach einer Nachspielzeit von geschätzten sechs Minuten muss sich auch Schiri Oliver Lossius geschlagen geben, und dieses Spiel, das am Ende wieder zu einem Nerven-aufreibenden Zitterspiel für uns wurde, abpfeifen. Nichts von Viktoria bei Berlin, sondern Kopf-hängendes Disfortunato. Und wieder bricht sich unser unbeschreiblicher Jubel Bahn, es ist geschafft. Apropos Bahn: Vor Spielbeginn konnte ich noch eine begehrte Eintrittskarte für unser Gastspiel beim BFC Dynamo erwerben, dass Ticket für den „Sonderzug zu Mielke“ hatte ich ja bereits. Einen weiteren Wagon für den Zug konnte noch organisiert werden, aber damit ist das Ende der Fahnenstage bei der Bundesbahn für uns auch erreicht. Alle Grün/Weißen individuell anreisenden sind trotzdem aufgefordert, am Bahnhof Gesundbrunnen zu den Zugfahrern zu stoßen zwecks gemeinsamen Anmarsch zum Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Ein wenig schade ist es schon, dass von meinen direkten Freunden niemand weiter dabei sein wird. Insgesamt wird es auf mindestens 1300 Leipziger Gäste-Fans allein durch die Zugfahrer hinaus laufen. Vielleicht schaffen wir sogar bis zu 2000, weil es gegen den Nachfolger eines Vereins geht, welcher bestimmt nicht nur aus meiner Sicht nach 1990 genauso in der Versenkung hätte verschwinden dürfen wie die FDJ. 
Chemie Leipzig BSG 15.10.2017 versus Viktoria Berlin 1 zu 0 (06) mail Schiebermeister BFCDoch dann hätten wir dieses kommende, brisante Spiel nicht vor uns, von dem wir natürlich berichten werden! Auf geht’s, Chemie, kämpfen und trotzen! Er-trotzen. Ein Remis. Mehr wird nicht drin sein, aber schon das wäre ein Erfolg gegen den klaren Tabellenzweiten. Chemie ist on the road again, der Fan-Zug dampft ab in Richtung Hauptstadt. Dies allein zeigt deutlich: Wir sind wieder wer! Niemand wie wir!

Copyright all words: Fritz Rainer Polter. Copyright all pictures: Martin Koll.

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10. Ligaspiel + Germania Halberstadt - Chemie Leipzig 1:1 + Platz 16 (von 18) mit acht Punkten
9. Ligaspiel + Chemie Leipzig - Wacker Nordhausen 0:0 + Platz 16 (von 18) mit sieben Punkten 

Die Niederlage in Meuselwitz habe ich noch keinesfalls verdaut, so bitter ist ihr Geschmack, da muss ich mich gleich der nächsten Herausforderung stellen.  Und die ist hart wie der Gips vom Hauptsponsor des heutigen Gegners, FSV Wacker 90 Nordhausen. Der aktuell Dritte der Tabelle der Regionalliga Nordost hat so viel Moos, dass er sich sogar Lucas, den Sohn von Mehmet Scholl, leisten kann. Nach Gerald Asamoah heute also wieder eine Art Star oder Sternchen im Alfred-Kunze-Sportpark; immerhin ist Lucas schon für den großen und kleinen FC Bayern München aufgelaufen. Heute läuft er neben Joy-Lance Mickels im Mittelfeld für die blau gekleideten Nordhäuser. Wir spielen wieder in grün; nach der Niederlage in Meuselwitz ist der aber-Glaube an unsere weißen Trikots wieder erloschen. 

Chemie vs Nordhausen Diablo Verkaufsstand 1 1794Diesmal fahre ich allein mit dem Rad von Connewitz in das Leutzscher Holz, treffe Sven erst auf dem Norddamm. Martin2, der Freund von Martin1, findet mich auf dem oberen Norddamm und beglückt mich mit einem Ticket zum "Sonderzug zu Mielke". Mit Erich Mielke assoziieren wir hier in Leutzsch immer noch den Prestige-Club der DDR-Bonzen, den BFC Dynamo. Bereist bei unserem, den Aufstieg zementierenden Spiel gegen Schott Jena im Juni diesen Jahres war in unseren Reihen ein Spruchband zu sehen, was darauf hindeutete; welche Brisanz nun bei einigen der zu erwartenden Spiele in der Regionalliga Nordost liegen wird. "Mielke, wir kommen!" - eine Drohung, die man interpretieren kann als: Nichts ist vergeben, nichts ist vergessen; schon gar nicht die staatlicherseits gewollte Benachteiligung der Betriebssportgemeinschaften gegenüber den bevorzugten Fußballclubs. Das Spiel gegen den BFC Dynamo wird am 22.10. im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin stattfinden, und durch die Gegebenheiten sowohl in den Bevorzugungen des BFC durch den DTSB der DDR; als auch durch den Tod  von Mike Polley (wir berichteten hier ausführlich bei interpool.tv) ist es ein besonderes Ereignis. Die Ultras der BSG Chemie Leipzig haben eigens dafür von der Bundesbahn einen Sonderzug gemietet, und die (zunächst) schätzungsweise dafür in den Verkauf durch die Diablos (Ultras der BSG Chemie) gebrachten 1200 Karten gehen am Verkaufsstand auf dem Norddamm weg wie warme Semmeln. Je nach Nachfrage und Absatzgeschwindigkeit sei auch eine Aufstockung seitens der Bundesbahn (sprich: weitere Wagons) möglich. Das wir der erste Sonderzug von Chemie Leipzig seit den Entscheidungsspielen gegen Union Berlin 1984. Aber darüber berichten wir ausführlich später im Jahr, wenn wir das Ereignis begleiten.

Die Security wollte mir am Eingang wieder mal meine Schalmei abnehmen, mit der fadenscheinigen Begründung, sie könnte ja ein raffiniert umgebautes Maschinenpistole enthalten. Okay, vielleicht war das auch nur de
ren Art von mir unverständlichem Humor. Nach einigem Hin und Her führe ich das Instrument zum Mund und richte es auf das Ohr des Security-Menschen, der sich vor mir aufgebaut hat, und blase kräftig hinein. Der Typ zuckt zusammen, und dürfte damit restlos überzeugt sein, dass eine Kugel-spritzende, eingebaute Feinmechanik die Klangkraft der Schalmei entscheidend gemindert hätte. Nun ja, ich verbuche das alles unter der Rubrik: Nerv-tötende, Zeit-raubende Spielchen. Martin1 fehlt mir heute als Freund und auch fotografisch: Ich hätte gerne eine Nahaufnahme von Lucas Scholl für die Kolumne. Mit meinem Kinderspielzeug von Kamera ist das indes nicht zu machen. Außerdem habe ich nur eine Hand frei; die andere führt die Schalmei zur Druckluftquelle. Ich bin früh da, dass Stadion wirkt ungefüllt. Doch wir bringen es dann immerhin noch auf roundabout 2300 Zuschauer.

Ferdi Kläre, der Autor unserer von mir gesammelten und hier oft bemühten  Programmhefte der 70er und 80er Jahre, hätte nach so einer Niederlage wie der am letzten Spieltag in Meuselwitz, wohl geschrieben, dass er gefragt worden sei, was er nun noch in sein Programmheft schreiben wolle. Ich hingegen frage mich hier und heute, was unser Trainer Dietmar Demuth der Mannschaft nun noch sagen will. Wird er sie wieder umbauen? Und wird dieses ständige Umbauen das Team weiter schwächen, die Automatismen restlos verwässern? Müssen wir uns damit abfinden, eine von drei „Schlachtvieh“- Mannschaften der Liga zu werden? Oder hat diese Niederlage dem Trainer neue Erkenntnisse geliefert, die uns weiter helfen? Können wir Leutzsch wieder zur Festung, zur Hölle machen, wo finanzstarken Vollprofi-Gegnern, die aber zu Hause vor  nur 150 Fans spielen, das Herz in die Hose rutscht? Demuth bringt heute Max Herrmann für Thommy Kind in die Startelf. Später, in der Pressekonferenz, erklärt er vertrackt, warum: Ein Stürmer müsse auch mit nach hinten arbeiten, so Demuth sinngemäß. Das Thommy Kind aktuell als Stürmer glücklos ist, darüber kann bei niemand ein Zweifel bestehen. Über diese Begründung hätte ich mich nicht gewundert. Doch jeder, der Augen im Kopf hat, hat in all den letzten Spielen gesehen, wie sehr Thommy für das Team gearbeitet hat. Indes funktioniert das Zusammenspiel vor allem zwischen dem pfeilschnellen Rintaro Yajima und Max Herrmann heute sehr gut, und der Stürmer arbeitet ebenfalls defensiv vorzüglich, integriert sich gut ins Team. Eine weitere Erkenntnis aus dem Spiel in Meuselwitz scheint die Analyse des Einsatzes unserer Körner zu sein. Dort hat sich unsere Mannschaft in der ersten Halbzeit regelrecht verausgabt. Heute jedoch hält sie sehr gut Haus über fast die gesamte Spielzeit. Chemie vs Nordhausen Norddamm von Westen in der Pause 2 1819
Nordhausen beginnt, wie nicht anders zu erwarten, mit viel Schwung, das Tor von Chemie in Belagerung zu nehmen. Aber sie spielen auf den Norddamm zu, und nicht nur ich schreie „Aufpassen, Jungs!“ wie ein Irrer in Richtung chemische Abwehr. Doch diesmal ist unser von Kapitän Karau geführter Defensivverbund hellwach, hält dagegen, wechselt gar zur Sechser-Kette, wenn die Doppelgipshäuser Nordkörner den Ball haben. Die grün/weiße Mannschaft erspielt sich Selbstvertrauen, geht schließlich immer öfter zu Kontern über. Rintaro Yajima, der bei Ballbesitz des Gegners wie ein Pfeil vom Bogen eines Zen-Meister die Passwege zu läuft, schaltet bei Ballbesitz blitzschnell um, passt in die Gassen zur Verwertung für Daniel Heinze oder Max Herrmann, oder läuft selbst auf das Tor an den Süd-Traversen zu, hinter dem zirka 150 blau/weiße Gästefans stehen.

Ärgerlich sind die gelben Karten, die wieder gegen uns verteilt werden. Denn die Spieler aus Nordhausen lassen sich in einer Art fallen, dass man selbst in Meuselwitz oder Torgau (bei Inter Leipzig) rot werden könnte. Und wieder fällt ein Team aus Unparteiischen aus meiner Sicht über Gebühr darauf herein, wenn auch nicht ganz so arg wie die leitend Agierenden bei den letzten Spielen. Ansonsten machen die Herren in Schwarz, angeführt von Felix Burghardt, ihre Sache wohl besser und gerechter, als es viele bei uns wahrhaben wollen. Doch es ist abzusehen, dass uns alsbald einige Gelb-Sperren drohen, und bei unserem dünnen Kader können wir Ausfälle sowieso kaum ersetzen. Okay, dafür kommen auch zwei wichtige der unseren nach ihrer Rekonvaleszenz zurück ins Team.

Über weite Strecken wirken die Nordhäuser vor allem in der Mitte der zweiten Halbzeit ratlos. Anstatt Feuer zu geben, wie jüngst die Meuselwitzer, lassen sie sich auf Geplänkel mit uns ein, verzögern das Momentum manchmal selbst, oder verlieren sich in verspielten Kopfballstafetten, die wir dankbar annehmen. In der 2. Halbzeit erhöhen sie insgesamt den Druck, kommen zu weiteren Chancen. Chemie verteidigt konzentriert und verbissen und kontert,  zumeist durch die für ihn signifikanten, kraftvollen, dynamischen und weiten Abwürfe von Torwart Lattendresse-Levesque auf Yajima. Kleine Korrektur zur Aussprache seines Nachnamens von mir gegenüber meiner bisherigen Behauptung: Sprich: La d’André Le Weck. Nach der Auswechslung unseres Samurais ist es mehr als klar, dass Demuth nun restlos auf absolute Verteidigung setzt. Im Falle eines Nordhäuser Tors hätten wir kaum noch schnelle, offensive Möglichkeiten. Aber sein Plan geht auf, die Nordhäuser verbrauchen ihre Doppel-Körner, reiben sich auf, agieren mit der Brechstange, doch der Treffer will nicht ihnen trotz zwei gekonnter Schüsse aus der Drehung einfach nicht gelingen. 

Uns allen ist in den letzten 10 Minuten der regulären-, und den zusätzlichen 5 der nachgespielten Zeit mehr als klar, dass wir diesen Fight einfach nur überstehen müssen. Noch 2, 3 Minuten länger, als die ohnehin arg gegen uns bemessenen geschätzten 5 der Nachspielzeit, und die Nordhäuser hätten die Sache „gezogen“, wie man im Sport so schön sagt. Doch wir überstehen den Druck, der Schiedsrichter pfeift ab. Das hat mich alle der sowieso arg strapazierten Nerven gekostet. Ein dreifaches „Uff!“. Geschafft! Und ein unbeschreiblicher Jubel wie nach einem Sieg durchdringt den Leutzscher Auenwald!

Ein Quäntchen Glück mehr für uns, und wir hätten das Tor nach einem unserer Standards erzielt. Ein Quäntchen Pech aber, und die Jungs um Lucas Scholl vom FSV Wacker hätten sich belohnt. Diesmal hätte es, sozusagen, ein Märchen für die anderen werden können, als Scholl zirka fünf Minuten vor Ende der regulären Spielzeit einen Freistoß trat, dessen Verwertung sich zum Glück für uns über die Oberkante der Querlatte zitterte. So gnadenlos ist der Fußballgott dann doch nicht, denn der Rasen ist grün, und die Begrenzungen sind weiß. Das für uns Ärgerliche geschieht derweil auf einem anderen Platz: Die Luckenwalder, die kürzlich mit dem Schlusspfiff gegen uns verloren hatten, schießen nun in letzter Minute ihr Siegtor, natürlich durch den wieder genesenen Ex-Lok-Stürmer Daniel Becker. Das ist schlecht für uns, weil sie damit 2 Punkte auf uns gut machen und die Rote Laterne der Tabelle damit an Neustrelitz abgeben. Der von mir in diesem Fall wirklich einmal dafür ehrlich geschätze Ortsrivale vom Südfriedhof hat einen Tag vorher die TSG Neustrelitz mit 2:0 abgefertigt, und uns damit wenigstens einen direkten Tabellennachbarn auf unteren Abstand gehalten.

Nach dem Abpfiff sind wir alle mehr als erleichtert. Wir haben alles gegeben, ich habe die Offensivaktionen beschallt, dass meine Ohren tinitieren. Und Sven hat unermüdlich „Chääämieeee!“ gebrüllt, dass ich ernsthaft um seine Gesundheit besorgt war. Buh! - Rufe und Ohren-betäubende Pfeifkonzerte gegen den Gegner aus allen Ecken und Enden des Stadions, nicht nur vom Norddamm, wenn es gefährlich wurde. Wir alle haben alles gegeben, besonders aber unsere tapferen, wieder erstarkten Jungs, die wir auch dementsprechend frenetisch feiern. Erneut geht mir unser isländisches Verkürze-das-Klatsch-Intervall-Ritual, dass wir mit einem zweimaligen „Chemie! Chemie! – Nur noch Chemie!“ abschließen, durch Gänsehaut und Knochen. Mögen wir dies noch oft erleben! Dieser Punkt war so wichtig für uns, dass wir ihn alle wie einen Sieg feiern. Der Glaube ist zurück. Die Festung Leutzsch hat ihre Mauern mit kochendem Öl verstärkt und die Sturmleitern der Angreifer von selbigen gestoßen. Wir haben erlebt, wie ein scheinbar übermächtiger Gegner in Schach zu halten ist. Oder sagen wir es mit unserem Meister-Trainer Alfred Kunze: „Lustig, lustig, Trallallallalla – heut‘ war Chemie Leipzig wieder da“. Glauben wir an die Mission Klassenerhalt! Niemand wie wir!           

Copyright in Wort und Bild by Fritz Rainer Polter

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8. Ligaspiel + Meuselwitz - Chemie Leipzig 4:1 + Platz 16 (von 18) mit sechs Punkten

Chemie vs Meuselwitz 10Sven und ich kommen zu spät, doch gerade noch rechtzeitig zum Führungstor für Chemie in der 17. Minute durch Daniel Heinze. Das beginnt ja wunderbar, die Mannschaft macht Druck, ist deutlich offensiver aufgestellt, agiert wie sonst nur ein Heimteam. Doch die Mannschaft belohnt sich nicht. Auch ein möglicher Elfmeter wurde uns nach einem Handspiel eines Meuselwitzers im Strafraum nicht gegeben. Grandiose erste Halbzeit, möchte man meinen, aber es kommt, wie so oft:  Aus einer Ecke auf den kurzen Pfosten macht Meuselwitz noch vor der Pause durch Lubsch den Anschlusstreffer in der 40. Minute.  Wir gehen in die Pause mit einem Gefühl von „okay, dann wird es eben vielleicht nur 1 Punkt, den wir nach Leutzsch mitnehmen“. Kann man mit leben.

 

Das spannende in den letzten Monaten war, wie Chemie aus der Pause kommen wird. Ich bin sehr optimistisch, dass wir das Momentum aus dem Spiel gegen Luckenwalde mitnehmen, mit Druck, Wucht und Willen aus der Kabine kommen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Der Trainer des Heimteams hat der Mannschaft wohl erklärt, wer hier zu Hause spielt. Sie setzen sich im Strafraum der Leutzscher fest, erspielen sich vier Ecken in Folge. In der 61. Minute kommt es, wie es bei der nun drückenden Überlegenheit der Heimmannschaft wohl kommen musste:  Eine Ecke kommt auf den kurzen Pfosten, Karau rutscht weg und  verdecket dem Torhüter Lattendresse-Levesque die Sicht auf Alberts Freistoß, Le Beau kickt die Murmel hoch ins Eck. Tor zum 2:1 in der 67. Minute, die Meuselwitzer  haben das Spiel gedreht. Agieren abgekochter, lassen sich fallen, und wer auch fällt, nämlich darauf herein, ist das Team der Unparteiischen. Und wieder sollte es ein ganz bitteres Lehrgeld für die junge, chemische Mannschaft kosten, die mit allem Herzblut der Welt agiert, aber sich auch diesmal nicht belohnen kann. Es sind ganz deutlich die einfachen, kleinen Dinge, die bei uns seit dem Derby gegen Lok nicht mehr gelingen: Passgenauigkeit, Abstimmung, Antizipieren, Balleroberung, und eine Kette von allzu leichten Ballverlusten.

Chemie vs Meuselwitz 14Wieder ist es der Japaner Rintaro Yajima, über den Chemie mit schnellen Aktionen zurück ins Spiel finden will, doch für seine Pässe in allzu oft leer bleibende Gassen gibt es selten Abnehmer. Ist er nun körperlich und gedanklich zu schnell, oder unsere Offensive in allem zu langsam? Meuselwitz kommt nun richtig in Fahrt, während bei uns Glaube und Kräfte schwinden. Demuth wechselt, Stürmer Thommy Kind kommt für Rintaro Yajima. Dieser Wechsel wird von vielen bei uns nicht verstanden, und er bringt rein gar nichts, denn nun läuft bei uns nichts mehr nach vorn, und Kind bekommt auch kaum Verwertbares. Yajima drin lassen, Kind trotzdem rein, jemand anders auswechseln – aus meiner Sicht wäre das eher eine Option gewesen. In der 78. Minute erzielt Mäder nach einem Sololauf das 3:1 – ausgerechnet unsere Abwehrhelden Trogrlic und Karau sehen nicht gut aus bei dieser Aktion. Unsere Köpfe hängen, Meuselwitz ist oben auf, dreht auf, spielt sich in einen Rausch. In der 87. Minute zieht Yves Brinkmann aus 16 Metern ab und trifft traumhaft ins rechte Eck: 4:1. Unser Torwart konnte da rein gar nichts machen, insgesamt hatte er sehr gute, und leider auch sehr schlechte Momente. Wir alle haben wohl einen gebrauchten Tag erwischt. Besonders gebraucht ist der wohl auch für einige der unseren, deren Alkoholisierungsgrad einfach nur peinlich ist. Und: aus der Traum vom Auswärtssieg. Respektable eintausend mitgereiste Grün/Weiße sind erst einmal bedient. 10,- Euro für einen Stehplatz mit schlechter Sicht, und ein Stadionheft habe ich auch nicht mehr bekommen.

Da auch Luckenwalde und Neustrelitz verloren haben, also tabellarisch für Chemie mit dem 16. Tabellenplatz alles beim alten bleibt, könnte man meinen, dass doch gar nichts Entscheidendes passiert ist. Ferdi Kläre, der Autor unserer Historischen Programmhefte, würde es wohl so ausdrücken: „Nun wissen wir wohl, wie es um das Schicksal unserer Chemie bestellt ist – ein Kämpfen und Hoffen bis zum letzten Spieltag“.

Schluss mit dem Gejammer! Haben wir gewusst, dass es schwer wird? Natürlich. Haben wir davon geträumt, im Mittelfeld der Regionalliga Nordost mitspielen zu können? Vielleicht. Hoffen wir, dass wir am Ende zwei Mannschaften hinter uns lassen werden, und die Auf- und Abstiegs-Szenarien für uns sein werden? Unbedingt! Die Mission Klassenerhalt läuft nach wie vor. Hoffen wir auf die baldige Rückkehr unserer „Waffen“ Bury und Bunge. Kopf, hoch, Chemie, kämpfen und siegen!

Bild und Wort Copyright by Fritz Rainer Polter

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7. Ligaspiel + Chemie Leipzig - FSV Luckenwalde 2:1 + Platz 16 (von 18) mit sechs Punkten

6. Ligaspiel + FC Auerbach - Chemie Leipzig 3:0 + Platz 16. (von 18) mit drei Punkten

chemie luckenwalde1
Die Kolumne hier nennt sich Mission Klassenerhalt – und hier haben wir es nun, dass erste echte Endspiel, und dies schon am 7. Spieltag der Saison: Der Drittletzte empfängt den Letzten.  Wie viele am Ende absteigen, hängt davon ab, wer aus der Dritten Liga absteigt bzw. welcher Regionalliga-Gruppe jener dann zugeordnet wird. Am besten, man lässt drei andere Mannschaften am Ende hinter sich – da wäre man sicher drin geblieben. Wir, Chemie Leipzig, haben heute also ein sogenanntes Sechspunkte-Spiel: Verlieren wir, verlieren wir drei mögliche Punkte, und ein direkter Kontrahent um das „Drinbleiben“, nämlich der Tabellenletzte aus Luckenwalde, hätte drei mehr. Kann es etwas Spannenderes geben? Nein! Unverständlich, warum an so einem herrlichen Sonnentag nur etwas über 2000 Zuschauer in den Alfred-Kunze-Sportpark kommen. Da fragt man sich verzweifelt, wo die sogenannten Schönwetter-Fans blieben; es war doch schönes Wetter?! (Zumindest während des Spiels, danach regnete es wieder).

Glück haben wir nicht nur mit dem Wetter, sondern auch bei den Voraussetzungen: Mit Daniel Becker, dem Ex-Lok-Leipzig-Spieler, fehlt der Tor-gefährlichste der Lucken vom Walde, weil er mit einem Infekt bei den VIP-Zuschauern platznehmen muss. Kleine Stichelei gegen die Gärtner vom Südfriedhof: Der Becks steigt lieber mit Luckenwalde ab, als für euch zu spielen. Kompliment dafür. Denkt da mal drüber nach. Ohne „Becks“, wie ihn die Ortsrivalen nennen, bringen es die Gäste nur selten zu Toren. Doch selbst mit ihm kassieren sie fleißig welche. Wann wollen wir uns aus der eigenen, Zweifels-wenig vorhandenen Krise ballern, wenn nicht heute? In – sozusagen - letzter Minute (am Vortag wohl), erhält unser neuer Top-Mann für das offensive Mittelfeld, Rintaro Yajima, von der Ausländerbehörde seine Spielzulassung. Glück gehabt also auch damit.  

Heute kein Martin; und Sven steht bei anderen Kumpels; dafür ist Jens aus der Nähe von Torgau mit seiner Harley angereist. Nein, das war nicht seine Tochter, dass ist die Hannah. Doch seine Schalmei hat er wieder dabei. Zusammen beziehen wir Position auf dem Norddamm und begleiten im Unisono die Offensiv-Aktionen unserer Elf. Andere Tuten höre ich diesmal nicht; ich hoffe, meine Kritik hat die anderen nicht entmutigt. Und wir sehen und betuten schallend wie im Mai die wohl beste erste, wenn auch Tor-los bleibende, Halbzeit unseres Teams in dieser Saison. Entgegen meinen Befürchtungen hat unserer Trainer Dietmar Demuth die Offensive wohl zu Aktionen ermutigt, und wir legen gleich richtig los. Das alte Problem: Wir vollstrecken nicht, schießen lieber direkt auf den Torwart, oder ans Tor-Holz. Oder einfach vorbei, aus Tod-sicherer Position. Wieder und wieder und wieder. Und sind wir mal kurz und klar vor dem Einnetzen, wird abgepfiffen. Abseits sei es, so das Team der Geschwärzten. Halbzeit. 

Aus der Pause kommt unsere Mannschaft prompt, heiß und mit Biss. Wenn die Offensive irgendwann auf unseren Samurai Yajima-Rintaro-san feinjustiert ist, könnte es richtig kreativ werden bei uns. Gestern lief noch fast alles ins Leere, was von ihm in die Gassen gepasst wurde. Kein Wunder, bei dreimal Feierabend-Training in der Woche. Trotzdem macht das einfach Spaß und gibt Hoffnung, wie der kleine Japaner im Mittelfeld agiert. Jetzt wollen wir es aber wissen! Und folgerichtig versenkt erneut unser Defensivspieler Manuel Wajer einen knallharten Schuss im Netz des ansonsten, - Ehre, wem Ehre gebührt, - dem unseren in nichts nachstehenden Torhüter der Gäste, Petereit. Auch dieser Schuss zum Führungstor ging wieder genau auf den Hüter, nur mit so  einer Gewalt, dass für den nichts zu machen war, weil er nach hinten fiel. Wenig später, in der 58. Minute, reicht den Gästen deren erste, lumpige Halbchance mit einem Fernschuss nach einer ausnahmsweise nicht ganz glücklichen Abwehr unseres super Torwarts Julien Lattendresse-Levesque (sprich: Jülian La Tandré Le Wéh ;-)) zum Ausgleich.
chemie luckenwalde2Es ist zum Verzweifeln in dieser Saison, die Mannschaft scheint sich einfach nicht belohnen zu können. Wieder sind unsere Spieler geschockt, sie beginnen zu zweifeln, fallen in ein Loch, wie der Trainer in der Pressekonferenz schon richtig ausgemacht hat, und lassen nun spürbar nach. Lassen es zu, dass der Gegner zu mehr und mehr Spielanteilen kommt und verlieren die eigene Wucht in den Angriffen. Auch zerstört das Team der sogenannten Unparteiischen unseren flow dadurch, dass er (aus meiner Sicht) ein jedes Hinfallen eines Luckenwalders (besonders unrühmlich wäre da deren Nummer 13 zu nennen) als vermeintliches Foul unsererseits ebenso abpfeift, wie einen Großteil unserer Sturmläufe. Es wirkt schon, gelinde gesagt, sehr eigen, wie Herr Lossius seine Entscheidungen trifft. Klar hört er von uns keine Kompliment dafür, sondern nichts als die Wahrheit, so, wie wir sie empfinden. Aber, wie das ja dann fast immer vorhersehbar ist: Je mehr wir seine Spielleitung lautstark kritisieren, desto eindeutiger gegen uns scheint sein pfeifendes Agieren. Zumindest nimmt er Abstand vom Elfmeterpfiff, als wieder einmal einer der Luckenwalder nach einem kleinen Klaps von einem unserer Abwehrspieler theatralisch im Strafraum fällt. Das wäre es noch gewesen!

Sorgen macht mir auch unser zwar engagierter, aber auffällig glückloser Stürmer Thommy Kind. Klar ist er ein Kampfschwein, rennt die Linie auf und ab, wirft sich rein. Nur der eigentliche Job eines Stürmers, den übt er im längeren Moment nicht aus. Gegen Ende der regulären Spielzeit kommt Luckenwalde noch einmal mit zwei Chancen zum Zuge. Nun glaube ich beinah, dass es wieder wird, wie zuletzt immer: Der Gegner bringt uns den knock-out. Aber sie schaffen es nicht, Julien, der Latten-Dreher, hält und wirft dann superschnell ab. Daraus entwickelt sich ein Angriff, auf den ein Eckball für uns folgt, aber dieser wird abgewehrt, und es gibt erneut Eckball. Es wundert mich immer noch, dass der Schiedsrichter nicht abpfeift; so, wie er sich bislang hier gegen uns präsentierte. Doch nein, der Ball kommt herein, findet Phillipp Wendt, der zieht ab, und der Ball fliegt am vergeblich entgegen gestreckten Bein eines der Luckenwalder Abwehrspielers ins Netz. Buchstäblich in letzter Sekunde, wie im Märchen. Toooooor! Und wieder bebt der Norddamm. Wiederanpfiff, Abpfiff! Freude ohne Ende auf den chemischen Rängen! Das war ein Krimi mit happy-end pur in der zweiten Minute der Nachspielzeit! Dementsprechend gibt es alle Rituale, vom heißer gebrüllten „Chemie-Fans, seid ihr alle da?“ bis zum Isländischen-Huh-Klatsch ohne Huh! 2000 Zuschauer heute nur, aber 2000 mit Herz, Leib und Seele. Wir sind eins mit den Jungs. Wir sind Chemie. Niemand wie wir! Ende der Vorstellung.

Nein, Nachschlag: Jens und ich fahren noch mit den Rädern zum Rundgang in die Spinnerei. Heute sind die Ateliers der Künstler für alle offen, und das man da hingeht, ist absoluter Kult in Leipzig. Ich gehe da auch gleichzeitig in ein Museum, in ein Museum aus Menschen meines Lebens. Man läuft stumm aneinander vorbei, und alle erinnern sich für sich, oder auch nicht. Großartig. Jedenfalls haben wir ja jeder noch unsere Schalmei dabei. Fragt uns doch so ein Typ, ob wir vom Spielmannszug wären. Für eine Sekunde überlege ich, ob ich das jetzt persönlich nehmen sollte. Aber ich erkläre es ihm auf meine Art:  Spielmannszug?! Es ist sogar noch viel schlimmer, entgegne ich ihm: Wir sind Chemie-Leipzig-Fans! Chemie, Chemie, nur noch Chemie! Chemie, Chemie, nur noch Chemie!

Bild und Wort Copyright by Fritz Rainer Polter

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Chemie Leipzig BSG 02.09.2017 versus Schalke Benefiz (61) mail Schalke UltrasChemie Leipzig vs. Schalke 04 U 23 (02.09.2017, 15.30 Uhr, 2:4)


Seit Wochen haben wir uns darauf gefreut, auf das erste von vier Benefiz-Spielen für die vier dringend benötigten Flutlichtmasten, und nun ist es soweit: Die U23 von Schalke 04 erweist sich und uns die Freude und Ehre, in das Leutzscher Holz zu reisen. Mitgekommen sind zirka 900 Gelsenkirchner Fans, und die sind wahrhaft das beste, was dem AKS seit den Eintracht-Fans passiert ist. Die sind einfach unglaublich, genau wie wir: Die singen, springen, schwenken die Fahnen und fahren eine zündende Choreo ab, dass es einem weiß und blau um Augen, Nase und Ohren wird. Heute sind sie sogar intensiver als wir: Die gönnen sich gar keine Pause, auch nicht in der Pause. Fotos: Martin Koll (All Rights reserved)

 



Als ich das Stadion mit Martin betrete, bin ich erst einmal  ziemlich enttäuscht: Es wirkt leer im AKS. Die Lücken vor allem auf dem oberen Norddamm sind nicht zu übersehen, und das Martin und ich sich heute für meine Lieblingsposition unterhalb der Tribüne entschieden haben, ist ganz bestimmt nicht der Grund dafür. Okay, es sind nur die Amateure von Schalke aus der Oberliga, aber es ist Schalke, und Gerald Asamoah sitzt auf der Bank. Da hätte ich mir schon das doppelte an Fans gewünscht, vor allem hoffte ich auf zahlreiche Schalke-Fans aus ganz Sachsen. Selbst wenn die Ortsrivalen wie Anno 1984 gegen Union Berlin einen eigenen Block an der Sachsenstube gebildet hätten, wäre mir das recht gewesen. Die dürfen einmal Schalke 2 sehen, und wir bekommen deren Knete für die Flut an Licht. So aber wirkt das Stadion halb leer, und auch die Chemie-Fans sind lange nicht so zahlreich erschienen, wie von mir erhofft. Und sie sind noch mit blauen Farben durchsetzt, denn viele zeigen heute offen ihre Sympathie für S 04. Mir ist Schalke relativ egal. Ich denke an meinen Neffen Bodo, der von Kindheit an ein Schalke-Fan war, und der nun schon lange in Österreich lebt. Wir haben uns vor 25 Jahren zum letzten Mal gesehen, waren aber die besten Kindheits-Freunde. Das wäre doch toll, wenn er heute hier sein könnte. Stattdessen erfahre ich einige Tage später, dass er in der Woche dieses Spieles mit 54 Jahren verstorben ist.

PChemie Leipzig BSG 02.09.2017 versus Schalke Benefiz (45) Asamoah Bankünktlich zum Anpfiff kracht eine Sintflut aus halbgefrorenem Hagel und Starkregen auf uns, dass der Fußballgott erbarm. Als ob wir nicht schon von selber wüssten, dass wir keine Schönwetterfans sind. Ich suche mit Martin ein wenig Schutz unterhalb der Tribüne, wir kriechen ein wenig unter den Schutz eines unser großen Spruchbänder. Chemie birgt und beschützt dich stets und immer, come flood or high water. Diesmal dient mir die Holzkonstruktion unserer Tribüne als Schallverstärkung meiner Tute, die, wie in alten Zeiten, unsere Offensivaktionen auch heute begleitet. Ich höre andere, die praktisch intonieren, auch wenn der Gegner gerade ein Tor geschossen hat – so was hätte es früher nicht gegeben. Denen muss ich mal eine Unterrichtsstunde erteilen, wann und wie man in das Martinshorn zu blasen hat. Unglaublich. Kurz vor dem Wiederanpfiff bitten mich, als ich gerade des Rück-Weges von der „Toilette“ kam, ältere Herrschaften, die ungefähr dort st
anden, wo zumeist der Fanclub West sich postiert, doch mal in mein Horn zu tuten, auf, dass sie das alte DDR-Oberliga-Gefühl wiederbekämen. Und zwar bezweifelten sie (psychologisch raffiniert) zunächst die Klangkraft meiner Tute in der Absicht, dass ich ihnen schon lautstark zu Gehör bringen würde, dass dem nicht so sei. Genau zum Anpfiff stelle ich die Erfüllung dieses, ihres Begehren her – gerne doch. Dafür habe ich Ding mit, das leider schon ein wenig zerbeulte.

Drei Tage zuvor wurde ich gnadenlos beim Testspiel gegen die Kickers Markkleeberg  von Mücken zerstochen. Wir gewannen 0:5, und nicht unwesentlich daran beteiligt war der Japaner Rintaro Yajima, der auch ein Tor geschossen hatte. Dieses sollte er heute gegen Schalke wiederholen, und überhaupt liefen so gut wie alle Offensivaktionen über ihn und über Manuel Wajer, der überraschend im Mittelfeld agierte. Der heute, gegen Schalke, gar nicht präsente Chemie-Trainer Dietmar Demuth testete einige Varianten aus, der der doch etwas blockierten Offensive mehr Schwung verleihen sollten, was aus meiner Sicht leider nur in Bezug auf den Japaner gelang, welcher dann auch postwendend von Chemie unter Vertrag genommen wurde. Das war schier unglaublich, welchen Schwung und welche Kreativität Rintaro-San in das grün/weiße Spiel zu integrieren vermochte. Nach dem Abpfiff redete ich beschwörend auf Jens Fuge ein, wie super und wichtig der Yajima für uns sein könnte, und ob er schon etwas Kopf-Nägeliges, jenen betreffendes, wüsste? Wusste er nicht.

Bei aller Liebe zu Chemie, aber damit ist nun leider auch Schluss mit dem Positiven von der Mannschaft. Wir haben wieder verloren,- natürlich, möchte man fast schon sagen. Eine Ost-Mannschaft aus der Regionalliga verliert glasklar gegen einen Oberligisten aus dem Ruhrgebiet, auch diese Tatsache ärgert mich, als Chemie-Fan, und Ossi. Chemie baut sich keine Zuversicht und keine Sicherheit auf, Chemie spielt nicht frei und ungebremst auf, Chemie spielt mit angezogener Handbremse und fällt vor allem 10 Minuten nach dem Wiederanpfiff in den, beinah möchte ich sagen: obligatorischen Tiefschlaf. Genau wie Fürstenwalde nutzt Schalke dies eiskalt, auch wenn Yajima noch einmal den Anschlusstreffer zu erzielen vermochte. 2:4 lautet das frustrierende Endergebnis. Natürlich feiern wir uns, danken der Mannschaft, danken Schalke und deren fantastischen Fans. Unsere Spieler gingen sogar zuerst zum Gästeblock. Dann beschwören wir alle guten Geister mit unserer Variante des isländischen „ Huh!“, bei welchem wir nichts intonieren, sondern nur die Intervalle unseres Klatschens steigern, zusammen mit der Mannschaft, die sich vor dem Norddamm aufstellt. Trotzig schreien wir unser „Chemie! Chemie! – Nur noch Chemie!“ zweimal in den Leutzscher Himmel. Ich schreie so laut und voller Wut und Trotz, dass eine Frau neben mir zusammenzuckt und sich erschrickt. So muss es sein.

Martin und ich sind uns einig: Unser kleiner Lichtblick ist Rintaro Yajima. Als sich die Mannschaft dann auch bei der Tribüne und beim Dammsitz bedankt, schreien wir ihm, zur Verwunderung der um uns Stehenden, unser „Domo Arigato, Rintaro-San!“, aus der näheren Distanz zu. Rintaro spürt und hört tatsächlich irgend so etwas, und ich realisiere seine Verwunderung, dass er hier schon so angekommen ist. Oder sollte dies wohl ebenfalls eine Art Zusammenzucken seinerseits gewesen sein, so wie bei der Dame vorhin?  Zum Abschluss unterhalten Martin und ich uns noch mit Martins Diablo-Kumpel, der gleichfalls Martin heißt, und dazu gesellt sich noch mein Chemie-Kumpel-Jens, jener der vielen mir bekannten Träger des Namens Jens, welcher die Spiele zumeist aus dem Familienblock heraus verfolgt. Von dort hat er mich dann wohl auch erspäht, als ich mich unter die Diablos gesellte.  Nächste Woche geht es auswärts, gegen Auerbach, weiter mit der Mission Klassenerhalt. Habe ich weiter und  wieder Hoffnung? Klar, aber immer. Auf geht’s, Chemie, kämpfen und siegen!“

5. Saisonspiel Chemie Leipzig vs. Union Fürstenwalde (26.08.2017, 13.30 Uhr, 1:2) 
Platz 16 (von 18) mit drei Punkten

Die beiden Punktspiele gegen Bautzen und Fürstenwalde haben wir verloren. Unglücklich, wurde kolportiert. Gegen Fürstenwalde kann man das aus meiner Sicht nicht behaupten, deren Sieg war schon hoch verdient. Ist dies wirklich nur dem schnelleren Tempo geschuldet, wie einige Journalisten meinen? ich denke eher, es ist die Tatsache, dass man in dieser Spielklasse als Amateur- und Feierabendverein gegen die Mehrzahl aus Ganztags-Profis nicht einen Moment nachlassen darf. Genau das machen wir aber immer wieder, gern auch besonders dann, wenn wir geraden gute Offensivaktionen hatten, welche aber nicht zum Torerfolg führten, weil zu unserem Latenkracher-Pech auch noch der einfacher Selbstaustrickser kam. 

Chemie Leipzig BSG 02.09.2017 versus Schalke Benefiz (28) mail Rainer mit der Reichsbahnsignalhupe aus den 60ern


Immerhin ist Jens aus Torgau angereist, zusammen mit seiner klugen und attraktiven Tochter Hannah. Jens hat ein altes Reichsbahn-Signalhorn im Internet erworben, mit dem er mich nun überrascht. Für ein Spott-Geld, allerdings war es Reparatur-bedürftig. So baute er das goldene Mundstück einer Trompete ein, reinigte und polierte das ganze Ding auf Hochglanz. Sollte ich ihm nachmachen, dass Ding mit der Reinigung und der Politur. Ob es wohl das alte „Elsterglanz“ der DDR noch irgendwo zu erwerben gibt?  So tuten wir nun im Unisono, überlegen uns eine Start- und-jump-on-Choreo der Klänge. Immerhin gehen wir durch einen Treffer von Daniel Heinze (Mittelfeld) in der 31. Minute zunächst in Führung.

Sven und Martin stehen ein wenig abseits. Nach der Pause geselle ich mich (der ausgleichenden Gerechtigkeit wegen) zu ihnen. Auf dem Platz gibt es jedoch keine ausgleichende Gerechtigkeit, sondern die Gladrow-Show. Der Spieler der Fürstenwaldener erzielte innerhalb weniger Minuten zwei einfache Tore.

Zum ersten Mal herrscht auf den Rängen teils wieder eine schlechte Stimmung, sie reicht von meinem bedienten Schweigen bis zur offenen Wut einiger, die vergessen, dass wir Amateure sind. Selbst die Treuesten der Treuesten, unsere Ulras und Diablos, lassen immer wieder einmal die Köpfe hängen, berappeln sich aber stets wieder. Wann und gegen wen wollen wir denn überhaupt noch gewinnen, denkt es in mir. Zweifel auch am Trainer Demuth. Dessen Kommentare zu Ergebnissen und Leistungen, für die er immerhin hauptverantwortlich ist, stoßen mir auch sauer auf.

Am Ende hört man dann beim Verlassen des Stadions den üblichen Unsinn, dass selbst Bernd Bauchspieß (versehen mit einer Sauerstoffzufuhr) die Sache besser machen würde, als unsere aktuellen Jungs. Dezent weise ich darauf hin, dass unsere Mannschaft Anfang der 70er Jahre abgestiegen ist – und zwar mit einem Dr. Bauchspieß, der da noch relativ tauglich war. Klar verstehe ich den Ärger, ich empfinde ihn ja selbst. Aber wie sagte Alfred Kunze? Was gesprochen wird, sei ausschließlich Ermutigung für die Kameraden. Dies sollte auch nach dem Spiel gelten, und zwar für uns alle.

Immerhin sollte man das Positive sehen: Wir haben jetzt nun auch bei den Heimspielen manchmal um die 3000 Zuschauer, wie der „geschätzte“ Ortsrivale (nein, nicht RB); welcher glaubte, uns enteilt zu sein. Wähnte, die Nummer 2 in Leipzig zu sein. Das sind sie nicht! Wir, Chemie, sind wieder ran. Leider nicht in der Tabelle, aber wir werden noch Spiele gewinnen, und die Gärtner vom Südfriedhof werden noch Spiele verlieren.


Fritz Rainer Polter

Fotos: Martin Koll (All Rights reserved)

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