Hormonzwiebeln und andere Auswüchse

Ein Radsport-Urgestein erzählt

 

von Ralf Meutgens

 

 Der ehemalige Profi und Radsport-Trainer Wolfgang Schulze hat schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Funktionären im organisierten Radsport gemacht. Wolfgang Schulze, den viele `Schulle´ nennen dürfen, ist ein Urgestein. Das betrifft sowohl den Radsport als auch Berlin. 1940 in Charlottenburg geboren, war er von 1961 bis 1978 als Radprofi erfolgreich. Nachdem er mit 19 Jahren Deutscher Meister im 100 Kilometer Mannschaftsrennen wurde, sah er seine Zukunft bei den Sechs-Tagerennen. 136 Mal ging Schulze an den Start, bei 50 Podiumsplätzen stand er insgesamt zehn Mal ganz oben. Bei den Stehern wurde er sowohl auf der Winter- wie auch auf der Sommerbahn Deutscher Meister über 100 Kilometer. Seine Rekordzeit von einer Stunde und 15 Minuten für diese Strecke hinter dem schweren Motorrad hat bis heute Bestand.

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Ein Radsport-Urgestein erzählt

 

Der ehemalige Profi und Radsport-Trainer Wolfgang Schulze hat schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Funktionären im organisierten Radsport gemacht. Wolfgang Schulze, den viele `Schulle´ nennen dürfen, ist ein Urgestein. Das betrifft sowohl den Radsport als auch Berlin. 1940 in Charlottenburg geboren, war er von 1961 bis 1978 als Radprofi erfolgreich. Nachdem er mit 19 Jahren Deutscher Meister im 100 Kilometer Mannschaftsrennen wurde, sah er seine Zukunft bei den Sechs-Tagerennen. 136 Mal ging Schulze an den Start, bei 50 Podiumsplätzen stand er insgesamt zehn Mal ganz oben. Bei den Stehern wurde er sowohl auf der Winter- wie auch auf der Sommerbahn Deutscher Meister über 100 Kilometer. Seine Rekordzeit von einer Stunde und 15 Minuten für diese Strecke hinter dem schweren Motorrad hat bis heute Bestand.

 

Zu seiner aktiven Zeit war Schulze bereits parallel als Trainer tätig, auch als hauptamtlicher Berliner Landestrainer. „Ich hätte auch Bundestrainer werden können“, erinnert er sich. Einer aus dem Präsidium des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) enthielt sich damals der Stimme, als es um die Wahl ging. „Da ahnte ich bereits, wie es sich entwickeln würde und für ein derartiges Experiment wollte ich meinen guten Posten als Landestrainer in Berlin nicht aufgeben“. Nicht jeder kam mit Schulze klar. Er ist bekannt für deutliche Worte und ein hohes Maß an Disziplin. „Was ich von anderen verlange, muss ich auch selbst vorleben“, lautet eine seiner Devisen.

 

Er hat immer für den Sport gelebt und diese Einstellung an seine Athleten weiter gegeben. Bei Schulze wurde mehr und härter, aber mit Köpfchen trainiert. Wenn Fahrer zu ihm kamen, konnte es sein, dass zum ersten Mal jemand ihre Sitzposition änderte. Ein wichtiger Baustein einer erfolgreichen Karriere ist für ihn die Ernährung. „Auch hier ist eben Disziplin gefragt.“ So erinnert er sich noch an den Neuzugang Thorsten Wilhems, „der beim Aufenthalt auf Mallorca durch sein undiszipliniertes Essen den Erfolg des Trainings in Frage stellte“. Schulze konnte ihn überzeugen, seine Essgewohnheiten zu ändern, um dadurch sein volles Leistungsvermögen zu entfalten. „19 Siege in dieser Saison waren der Erfolg der Umstellung“.

 

Schulze kann es nicht nachvollziehen, wenn Trainer sich unglaubwürdig machen, indem sie Kette rauchen, mit Alkoholfahne beim Training oder Wettkampf erscheinen oder „mit einer Figur `rumlaufen, mit der man einem Michelinmännchen Konkurrenz machen könnte“. Noch weniger kann er teilweise die Personalpolitik im BDR nachvollziehen: „Ich kann nicht verstehen, dass teilweise immer noch Leute an Positionen sitzen, die seit langem durch dubiose Machenschaften auffallen. Auf der Strecke bleiben dabei Karrieren von Athleten oder in einzelnen Fällen auch die Gesundheit“.

 

{mospagebreak}Speziell mit Funktionären hat Schulze so seine Probleme. Der eine ziehe seinen Nachfolger wie einen Sohn auf und am Ende sind alle eine große Familie. Leute, die kritisch sind und das auch äußern, würden systematisch „platt gemacht“. Keiner seiner Sportler war jemals in der Optimalförderung des Verbandes, obwohl sie von der Leistung und den Erfolgen dorthin gehört hätten. Von den Dopingskandalen des vergangenen Jahres, speziell von den Machenschaften der Universitätsklinik Freiburg fühlt Schulze sich „überhaupt nicht überrascht, sondern bestätigt.“ So erinnert er sich an die Bahnweltmeisterschaft 1967 in Amsterdam. „Der Mannschaftsarzt des BDR war Dr. Armin Klümper. Er gab Ratschläge, die dazu führten, dass der Dortmunder Dieter Kemper als Dopingsünder überführt und gesperrt wurde.“ Ähnliches sei später auch unter Dr. Georg Huber geschehen. „Der Fall des 1994 wegen angeblichen Kortisonmissbrauchs gesperrten Frankfurters Ralf Schmidt ist meiner Meinung nach nie richtig aufgeklärt worden.“ Der Fahrer habe ein Medikament auf Anraten von Huber genommen, was dann zur positiven Probe geführt habe. Huber selbst habe gegenüber dem BDR argumentiert, Schmidt nicht zu sperren und vergleichbare Fälle angeführt, in denen dieses Medikament ebenfalls medizinisch indiziert gewesen sei. Vorfälle dieser Art hätten intern nie zu Konsequenzen geführt und das fatale Ergebnis dieser nicht nachvollziehbaren Verbandspolitik sei im vergangenen Jahr überdeutlich geworden. Auch der Spitzname des derzeit suspendierten Bundestrainers Peter Weibel, dem die Abgabe von Dopingmitteln an junge Radsportler zur Last gelegt wird, sei in der Szene hinlänglich bekannt gewesen: Als aktiver Radrennfahrer habe er `Hormonzwiebel´ geheißen.

 

Schulze glaubt nicht, dass sich in dieser Richtung viel ändern kann. „Der Fisch fängt immer vom Kopf an zu stinken.“ Der Ankündigung durch den Präsidenten des BDR, Rudolf Scharping, die Dopinghistorie im Radsport umfassend aufklären zu wollen, vermag er nur wenig Glauben zu schenken. Zu große personelle Änderungen des bestehenden Systems müssten erfolgen. Und dagegen würde man sich nach allen Regeln der Kunst zur Wehr setzen. „Es geht nicht um das Wohl der Aktiven, sondern darum, dass jeder seinen Posten behält.“ Speziell mit der Förderung von Talenten hat er seine Erfahrungen gemacht. Da hieß es, wenn die Leistung erbracht worden ist, bekomme er auch die Förderung, obwohl „genau umgekehrt ein Schuh d´raus wird. Man muss fördern, um ans Ziel zu kommen“. Mike Kluge sei so ein Beispiel gewesen. Schulze habe das große Potenzial erkannt, aber der Landessportbund habe die notwendige Materialunterstützung verweigert. „Zum Glück sprangen Freunde aus meinem privaten Umfeld ein, die meiner Prognose an Kluges große Zukunft vertrauten“. Dass diese Prognose stimmte, belegen Kluges zwölf deutsche Meister- und drei Weltmeister-Titel. Aber auch die Medien sieht Schulze in der Pflicht. „Es darf nicht sein, dass immer nur die Ersten diejenigen sind, denen die gesamte Aufmerksamkeit zuteil wird. Der Zweite interessiert in aller Regel schon nicht mehr.“

 

Den Umgang mit der Dopingproblematik hält Schulze in vielen Fällen für überzogen. Berufssportler, die mit dem Dopingreglement, aus welchen Gründen auch immer, in Konflikt kämen, würden mit einem zweijährigen Berufsverbot belegt und sollten nach Meinung vieler am besten noch zusätzlich ins Gefängnis. „Diejenigen, die das fordern, sollten sich einmal vorstellen, wie es wäre, wenn man diese Maßstäbe auch bei Verfehlungen und Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol im normalen Leben anlegen würde“. Hier stimmen für Schulze die Relationen nicht. Wie auch bei der fast ausschließlichen Fokussierung auf den Radsport. „Italienische Fußballer, die vorher nachweislich in Doping- und Betrugsaffären verstrickt waren, haben vollkommen unkritisiert ihren Teil zum deutschen Sommermärchen beigetragen, in dem sie Weltmeister wurden. Ein schönes Märchen.“ Daran könne man sehen, wie verlogen es in der Gesellschaft zugehe. Man wolle offenbar belogen werden. Viel wichtiger sei es, sich auf den Schüler- und Nachwuchsbereich zu konzentrieren. Dort müsse vernünftig gearbeitet werden. Wenn man es zu dieser Zeit schon schleifen lasse und die jungen Leute von Trainern, Medizinern und teilweise den Eltern falsch beraten werden, dürfe man sich nicht wundern, wenn dies eine Entwicklung nimmt, die im vorigen Jahr im Radsport deutlich geworden ist. Man könne nicht beim fertigen Sportler ansetzen, dem dieses Verhalten von klein auf beigebracht wurde. „Den kann man nicht mehr grundlegend ändern. Der Auswuchs ist dann, so traurig es ist, völlig normal.“  Ralf Meutgens

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