Musikdoku: 'Heldenstadt Anders' - Der Festivalfilm (137 min, interpool.tv, 2020)

Drei Tage AUSVERKAUFT. Unzählige Biers, Umarmungen. Tränen der Freude, Pogo, gute Laune. Dazu Bands, die mehr als drei Jahrzehnte nicht mehr zusammen auf der Bühne gestanden haben. Punk, NDW, Noice, Heavy Metal .... Dass Leipziger 'Heldenstadt Anders Festival' im Leipziger UT Connewitz war ein voller Erfolg! Die - mehr als zweistündige - Doku zeigt Ausschnitte aller Auftritte. Sie blickt aber auch hinter die Kulissen dieses einmaligen Ereignisses aus dem September 2019. 

Line Up (Tag 1): HerT.Z., Kulturwille, Mad Affaire, Die Zucht
Line Up (Tag 2): The Huck, 0815, Dilletannten feat. Karl Heinz, Gelee Royal, Der Schwarze Kanal, Pfft...Projekt KNPL
Line Up (Tag 3): Schmerzgrenze, The Real Deal, Trübkraft Umsonst, Unklar, Zorn, Neu Rot, Confused Trail 

KonzertKritik: Kukident Punk


14.07.12 Cortina Bob: Koffin Kats, The Mess Around
von Sonnidee

Letztes Jahr Interpool.tv – Betriebsnudelfeier beim DFB-Pokalendspiel. Da spielte diesmal nur Schrott, also kleinerer Rahmen. Statt Fußball gucken Konzert anschauen.  Der große Meister legt vor dem Kreuzberger „Cortina Bob“ mit Kennermiene fest: „Das ist das frühere Bronx. Bin ich oft gewesen.“ Na denn rein in die gute Stube. Die Vorband  „The Mess Around“ spielt schon. Der Platz vor der Psychobilly Band ist noch sehr übersichtlich. Das Berliner Publikum trödelt wieder mal. Derweil werden Erinnerungen wach, wie wir als Jugendliche die ersten „Psycho Attack Over Europe“- Platten hörten. Damals war das Erstaunen groß, da Papis Rock`n Roll nach Punk klingen kann. Langsam füllt sich der Laden und „Koffin Kats“ übernehmen die Show. Der Sänger und Kontrabassist verblüfft die Besucher mit einer Stimmlage die extrem an Jello Biafra (Dead Kennedys) angelehnt ist. „Koffin Kats“ wissen von Anfang an zu begeistern. Die Band ist wild, der Sound punkig, Rockabilly mit einem Quentchen Country versehen. Der Gitarrist mit umgefallenem Irokesen auf dem Kopf haut besessen aufs Instrument, der Trommler hält das Tempo hoch. Was der Kontrabassist veranstaltet ist großartig. Er klettert auf seinem Instrument herum oder spielt das riesige Ding hinterm Rücken als ob es ne winzige Ukulele wäre. Auch als die Frontleute die Instrumente tauschen gibt es keinen qualitativen Abbruch an der Musik. Der inzwischen gut gefüllte Bereich vor der Bühne ist Bewegung, die Meute wackelt und tanzt begeistert. Die Publikumsstruktur ist recht gemischt. Paar Punks, erstaunlich wenig Psychobillys und Mädchen, die wie Lilly Munster verkleidet sich als Amy Winehouse aussehen. Da gibt es auch noch ein Blümchen extra ins Haar. Kurios endet der phantastische Gig. Die Musiker gehen von der Bühne und die eben noch freudig erregten Besucher bleiben stumm. Viele verziehen sich an die Bar, der Rest schaut ratlos drein. Kein pfeifen, keine „Zugabe“ - Rufe. So übernimmt ein Tontechniker die Initiative, begibt sich backstage und holt die Kapelle noch mal nach vorn. Der Funke springt sofort wieder über: Als ob nichts gewesen wäre, gehen die Leute für die letzten zehn Minuten wieder euphorisch mit. Da es dann Mitternacht ist, werden die nun aufkommenden  „Zugabe“ – Wünsche  nicht mehr erhört.

05.07.12 Cassiopeia: Turbostaat
von Sonnidee

Draußen krachts, blitzt`s und pladderts, trotzdem bequemt man sich vom Sofa hoch und verlässt das traute Heim. Irgend ne Krimskrams Skatermodemesse präsentiert als Partyact „Turbostaat“ im Cassiopeia. Da die Flensburger inzwischen den Minischuppen entwachsen ist, soll die Gelegenheit des kleinen Rahmens für einen Besuch genutzt werden.

Kurz nach Mitternacht betritt „Turbostaat“ die Bühne. Der Großteil des Publikums ist im studentischen Alter angesiedelt. Ungewöhnlich für eine Band, die sich als „Punkrock“ versteht, der Anteil adrett gekleideter Mädchen aus „gutem Hause“ ist recht hoch. Die Jungs legen auf ihr Äußeres eher kurios wert. Der aktuelle Flitz Che-Guevara-Vollbart in Kombination mit Erich-Honecker-Hornbrille ist nicht cool sondern bescheuert. Bei Krachkonzerten sieht die Jugend renitenter oder stylisher aus. Und dies ist eben das Problem bei „Turbostaat“, richtig wild sind sie nicht. Die Gitarren bauen eine Wall of Sound, doch es klingt meist angestrengt und bemüht. Immerhin ist der agitpropartige Gesang live nicht so nervend wie auf den Platten. Trotzdem hängt die Keule des „Wir haben was zu sagen“ im Raum. Nur soll man dann Bücher schreiben und nicht Vierzeiler vertonen. Auch wenn lässige, flockige Melodien fehlen, bringen „Turbostaat“ einen Haufen Radiohits und Gassenhauer zu Gehör. Da sich der akzeptabel gefüllte Konzertraum recht schnell als schwüle Sauna entpuppt, kommt Begeisterung nur in den vorderen Reihen auf. Der Rest der Besucher kämpft mit sich und der Hitze. Die kostenlos verteilten Wassereisstangen lindern nur wenig. So ist es ein Kommen und Gehen. Ungefähr die Hälfte der Leute ist immer auf dem Weg, sich im Barbereich oder Hof (Gewitter ist verzogen) Abkühlung zu verschaffen. Trotz dieser erschwerten Bedingungen spielt die Band über eine Stunde, die Fans am Bühnenrand holen gar eine Zugabe heraus.

01.06.12 Wuhlheide: Die Ärzte

von Sonnidee

„Die Ärzte“ – Als Schüler in den Achtzigern geliebt, nach ihrer Reunion in den Neunzigern kaum noch beachtet, ist es an der Zeit für einen Konzertbesuch. Die anderen Kinderhelden sind eh schon mehr oder minder abgehakt. Alle drei Konzerte in der Wuhlheide sind schon seit Monaten ausverkauft. So sind am Freitagabend die S-Bahnen ab Ostkreuz rappelvoll. Am Einlaß dauert`s ca. eine halbe Stunde, so kann über die Vorband „K.I.Z.“ nicht viel gesagt werden. War leise abgemischt und die Versorgung mit Getränken und Plätzen steht vor der Achtung des Openers. Nach der Tagesschauzeit beginnt eine Stimme aus dem Off den Countdown runter zu zählen, Das Publikum steigt ein und wird dabei vom Sprecher durcheinander gebracht Dann fällt der schwarz-rote Vorhang doch und der Gig beginnt mit „Ist das noch Punkrock?“.

In der Wuhlheide sind mehr Punks als letztes Jahr bei den „Beatsteaks“, doch trotzdem in einer verschwindend geringen Anzahl vertreten. Der Großteil sind vom Erscheinungsbild Normalbürger aller Altersklassen. Kinder an der Hand der Eltern sieht man öfter, doch heute sind gar Leute kurz vorm Renteneintritt dabei. Die Masse sind junge Erwachsene im Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Dementsprechend sieht die Setlist aus. Vor allem Songs aus der jüngeren Bandgeschichte werden dargeboten. Berüchtigt sind „Die Ärzte“ für ihre ewigen Ansagen. Das hält sich in Grenzen. Das Publikum wird mit angesagter La  Ola in Schwung gebracht und es wird der fehlende BH-Hagel bemängelt, doch verkommt der Abend nicht zur Comedy-Show. Mit einsetzender Dämmerung werden die Videowände angeworfen und der eine oder andere Song visualisiert. Sehr gelungen bei „Lovesong“ wo berühmte Paare gezeigt und von einem Reißverschluß getrennt werden. So erwischt es unter anderem Brad Pitt & Angelina Jolie, Marilyn Monroe in verschiedenen Konstellationen, Stan & Olli, Bud Spencer & Terrence Hill sowie als makabrer Scherz die New Yorker Twin Tower. Nachdem zwischendurch „Hey du bleibst stehen“ kurz angespielt wird, erklingt kurz vor Zehn mit „Ist das Alles?“ die erste richtig alte Nummer. Der anschließende Abgang wird mit „die heuchlerischste Verabschiedung“ und „Berlin weiß was eine Lüge ist“ begleitet.

In der Pause wird auf den Leinwänden das „Ab 18“ Logo gezeigt. Man glaubt, o.k. nach 22:00 kommt jetzt endlich der Schweinkram, die indizierten Songs. Doch Pustekuchen. Die Leute werden mit einer Reggaefassung von „Westerland“, die am Ende gewohnt rockig wird, in Wallung gebracht. Selbst Bengalos tauchen im circle pit auf. Was für die Ansage sorgt „das Konzert muß abgebrochen werden und wird wiederholt“. Na, da hätte niemand was gegen. Der bekennende  St.Pauli Fan Bela stichelt bei dieser Gelegenheit gegen Hertha BSC und freut sich über deren Abstieg. Er fordert damit nicht den Unmut der Besucher heraus. In jeder anderen Bundesligastadt undenkbar, dass der heimische Großklub ungestört veräppelt werden darf. Weiterer Höhepunkt ist dann „Schrei nach Liebe“. Schön wenn ein völlig unszeniges Mainstreampublikum geschlossen „Nazi-Arschloch“ brüllt. Nach über zweieinhalb Stunden Hitfeuerwerk geht es mit einer Langversion von „Zu Spät“ ins Ziel. Aus dem Stegreif fallen einem noch mal so viel Songs „der Ärzte“ ein, die nicht gespielt wurden. Auch wenn es ein guter, kurzweiliger Abend war, Bela, Farin und Rod haben sich immer mal gern ironisch als die beste Band der Welt bezeichnet. Selbst in Berlin sind die „Beatsteaks“ mit ihren Wuhlheide - Konzerten letztes Jahr mindestens ebenbürtig gewesen.


01.05.12 MyFest: Gorilla Biscuits, Reno Divorce

von Sonnidee

Die misslungene Revolution schon unzähligen Auflagen erlebt, da reicht heute die Konzentration auf das Kreuzberger Musikprogramm. So macht seit Tagen das Gerücht die Runde „Gorilla Biscuits“ würden auf der „Coretex-Bühne“ in der Oranienstraße spielen. Auf den offiziellen Planern ist 20:15 Uhr für einen Überraschungsact freigehalten. Für den 1.Mai die klassische Headliner-Zeit. Selbst im Radio wird dann noch hingewiesen, dass eine Hardcorelegende aufspielt. Kann eigentlich nichts schief gehen. Gegen Acht geht’s Richtung „Coretex“, allerhand Volk ist schon versammelt. Aufgrund der Lautstärke der Konservenmusik ist es schwierig die verbummelten Kumpel zusammen zu telefonieren. Dafür trifft man ewig nicht gesehene Miezen. Zeit, dass die Kapelle die Bühne entert. Nur was kommt jetzt?

Die Band ist in Action, die vorderen Reihen hopsen ordentlich rum, doch in 20 Metern Entfernung ist kaum ein Ton zu vernehmen. Schlucken die Massen die Schallwellen, schlecht ausgesteuert? Gesang ist kaum hörbar, das Schlagzeug bringt ein dumpfes uffta uffta  rüber, die Gitarren jaulen auf einem Ton. Der Sound ist miserabelst. Jetzt ist Ruhe und Muße für liegen gebliebende Telefonate. Mit der Zeit bekommen die Techniker oder der Zufall den Klang ein wenig in den Griff, doch bleibt es weitestgehend bei Zimmerlautstärke. Schade, denn auf der Bühne und im Moshpit ist ordentlich Betrieb. „Gorilla Biscuits“ feuern ca. eine Dreiviertelstunde Hit an Hit ab. Die Überraschung kommt wieder bei der anschließenden Pausenmusik. Laut und deutlich wird weit nach hinten die Oranienstraße beschallt.

Anschließend kämpft man sich durch Kreuzbergs Openair Kneipe in die Adalbertstraße. Hier ist für 22:00 „Reno Divorce“ annonciert. Mal als Vorband von U.S. Bombs gesehen und als dreistes „Social Distortion“ – Plagiat empfunden. Zwar klingt der Sänger auch heute häufig nach Mike Ness, doch ist der Gig wesentlich rauer als damals. Nicht so lahm und breitbeinig wie „Social Distortions“ Countryrock, sondern ein ordentlicher Schuß Punkrock wird geboten. Dies auch in einer vernünftigen Lautstärke, mit einem Sound der für ein Straßenfest akzeptabel ist. „Reno Divorce“ kann mit diesem Konzert definitiv punkten. Bei „Gorilla Biscuits“ kann man nur hoffen, dass sie Stadt noch mal in einem Saal mit ordentlicher Anlage besuchen. Das kostet dann paar Taler, sollte sich jedoch lohnen.

von Sonnidee

Dies dürfte eine der kleinsten Konzertstätten Berlins sein. Die ehemalige Frühstücksbude in der Kreutziger Straße. Der Einlasser meint keck, der Schuppen wäre für 80 Personen zugelassen. Vielleicht in Zeiten von Hungersnot, da selbst bei Punkkonzerten heute adipöse Gestalten auftauchen ist es bei ca. 50 Besuchern richtig eng. Klar hinter der Theke und zwischen Schlagzeug und Mikros ist noch Platz. Nur darf da keiner hin. Erstaunlich, dass in so einem kleinen Laden eine gestandene Amiband wie „Off With Their Heads“ auftritt. Ist eigentlich nur mit Freundschaft, Solidarität zu den Betreibern oder Spaß an der Musik zu begründen. Fünf Euro Eintritt zielen auch eher in Richtung Selbstausbeutung. Oder „Punk“ ist hier nicht ein verkaufsförderndes Wort sondern gelebte Kultur. Wie nicht anders zu erwarten ist der Sound miserabel. Die beiden Ferienlagerboxen scheppern tapfer vor sich hin, der Gesang ist sehr leise abgemischt. Gibt es überhaupt ein Mischpult? Die Klasse von „Off With Their Heads“ ist hier mehr zu erahnen als zu hören. Da alles auf einer Ebene stattfindet, sieht man ab der vierten Reihe gar nichts mehr. Egal, dafür bekommt man eine hervorragende Band in einem sehr intimen Rahmen geboten. Zündender Amipunk, Melodycore für Freunde von „Bad Religion“ oder „NOFX“, mit rauerem Gesang, wird dargeboten. Das Publikum muß sich in der Freude disziplinieren, ansonsten würde die Band aufgrund der Enge schlicht weggefegt werden. So ist der Gig auch nach einer Dreiviertelstunde vorbei: Eine Zugabe gibt es, dann bemängelt der Sänger, dass ihm die Stimme weggeht. Verständlich die Luft ist nicht mehr vom Kurort.

18.02.12 Clash: Dead To Me, Antillectual
von Sonnidee

Tagsüber streiken die U-Bahnfahrer, da hält sich das Vertrauen in einen funktionierenden Nachtverkehr in Grenzen. Deshalb bei frühlingshaften 8° Grad aufs Rad geschwungen und nach Kreuzberg 61 gestrampelt.
Im „Clash“ angekommen ist die erste Feststellung, die Stadt ist von Faulpelzen bevölkert. Keine Hundert Leute verlaufen sich im Schuppen. Recht bald beginnen „Antillectual“. Schneller, rauer Punkrock. Vorher nicht gekannt, rauschen die Songs ohne im Ohr oder Hirn hängen zu bleiben, vorbei. Vielleicht sollte man als Konzertbesucher auch aufmerksamer sein und nicht ständig schwatzen. Das Set von „Antillectual“ ist recht kurz, selbst an Anheizer sollte mehr als eine halbe Stunde drin sein. Locker gefüllter Laden, bedeutet auch während der Umbaupause schnelle Bedienung an der Theke. Die Tresenkräfte langweilen sich fast.
Kurz vor Elf kommen „ Dead To Me“ aus San Francisco auf die Bühne. Daß die von der amerikanischen Westküste kommen, hätte man auch nach den ersten Takten erraten. Typischer melodischer 90er Jahre Punkrock mit Hitpotential. Eben aus der „NOFX“, „Lag Wagon“ – Liga. Der Gesang klingt ein wenig rotziger als bei den berühmten Acts: Ansonsten die übliche Erfolgsformel flotter Gitarrenmusik. Was eben auch beinhaltet, dass irgendein Song mal mit `nem reggaeartigen Intro beginnt, damit aus dem üblichen Schema ausbricht. Nach einer halben Stunde ist das Publikum auch so warm, dass es recht ausgelassen reagiert. Vorn hüpft die Jugend, beginnt mit crowdsurfen, hinten wackeln die Alten mit dem Kopf. Nach einer Stunde ist vorerst Schluß, doch so einfach geht das nicht. Die Besucher verlangen die Zugabe und bekommen sie auch. Die Fans aus der ersten Reihe werden auf die Bühne gezogen  und bilden den „Massen“chor. Das bringt noch mal Stimmung in die Bude. Dann wird man in den Berliner Nieselregen entlassen.

27.01.12 Supamolly: Burning Lady, The Schön

Der Friedrichshainer Supamolly, eine Institution im Berliner Livegeschehen mit meist unbekannten Acts jeglichen Genres. Wenn einem  im Veranstaltungskalender nichts einfällt, kann man hier risikolos für `nen schlappen Fünfer mal was Neues antesten. Bei der Ankunft ist „The Schön“ schon auf der Bühne. Belangloser Deutschpunk, dem die musikalische Schärfe fehlt. Bei den gesungene Parolen ist unklar, ob es ironisch oder ernst gemeint ist. Da verziehen wir uns lieber ins Hochparterre an die Theke.
Erfolgreich gelabt, kann es mit der Hauptband „Burning Lady“ losgehen. Und die Franzosen gehen richtig los. Schnelle, krachende Gitarren und hetzender Gesang einer äußerst niedlichen Sängerin. Im Verlauf des Konzerts stellt sich heraus, das Mädchen kann nicht nur shouten sondern auch richtig singen. Sie ist definitiv ein Showtalent mit echtem Starappeal, hat mit leicht arroganter Attitüde das Publikum voll in den Bann gezogen. Ebenfalls ein großartiger Poser ist der Irokese am Baß, während der Gitarrist wie irre auf seinem Instrument „schruppt“. Das Erfolgsrezept der „Distillers“, schöne Sängerin und schneller, rotziger Punkrock, wird hier neu aufgeführt. Im Saal kocht es, das Publikum geht geradezu euphorisch mit. Mit einem Ska- und einem Metalsong wird aus dem gecruste auch mal ausgebrochen. Das Repertoire an Liedern ist noch eingeschränkt doch, die Besucher können nicht genug bekommen. So tauchen bei der Zugabe wieder Songs aus dem vorigen Set auf.
Am Merchandise - Stand ist auch nur eine Mini CD erhältlich. Am Longplayer wird noch gearbeitet. Im September wollen „Burning Lady“ mit diesem im Gepäck erneut nach Deutschland kommen. Sollte für jeden Punkrockhörer ein Pflichttermin werden. Auf einer kleinen Bühne wird man nicht oft so eine gute Band erleben.

24.01.12  Il Ritrovo: One Trax Minds

Das im Volksmund „Punkrockitaliener“ genannte Restaurant an der Friedrichshainer Wühlischstrasse bedient heute sein Image. Hielten bislang nur Plakate und beschmierte Wände den Ehrennamen hoch, gibt’s gleich laute Musik. Die als italienische Streetpunks beworbenen  „One Trax Minds“ laden zur record release party ein. Die Tische werden Abends fix beiseite geschafft und eine kleine Bühne aufgebaut. Bier fließt ab jetzt in Plastebecher,  Minipizzen landen, in der Serviette gereicht, auf der Hand. Bis Zehn Uhr haben sich 50-60 Leute versammelt. Es kann losgehen. Vom Äußeren sind „One Trax Minds“ nicht als Streetpunks auszumachen, eher junge, gestylte Schönlinge. Was den extrem hohen Frauenanteil im Publikum erklärt. Zudem, für Friedrichshainer Kreise ungewöhnlich, Mädels, welche die Errungenschaften der Kosmetikindustrie offensiv ausprobieren. Gut, sehr viele sind italienischer Herkunft. Da läuft man nicht im Jutesack herum, sondern hat ein angenehm ästhetisches Empfinden. Ebenfalls unter den Anwesenden ein guter Schwung alter Kreuzberger im seit 30 Jahren getragenen, über jede Mode erhabenen, 80er Outfit.
Die Kapelle bietet gediegenen Punk der 77er Schule, der manchmal bedenklich nah an „The Clash“ heranreicht. Oder sollte man aufgrund ihrer Jugend „Rancid“ als Referenz nennen? Belanglos wirkt der konsequent englische Gesang. Italienische Sprachmelodie würde der Band wesentlich besser stehen. Ein englisch singender Adriano Celentano würde heute auf keiner Party gespielt werden. Egal, den Fans gefällt es. So viele grinsende Gesichter und gute Laune sind bei Konzerten selten. Zugegeben, der Gig ist mehr eine Privatveranstaltung, wo sich alle untereinander kennen. Da geht es lockerer zu. Nach einer Stunde beenden die „Vesparocker“ ihr Konzert. Alles richtig gemacht, wenn die Musik schon nicht die Innovation ist, holt der ungewöhnliche Veranstaltungsort die Punkte rein.

11.01.12 So36: Jingo de Lunch, The Bottrops, A Pony Named Olga, Kumpelbasis, Cut My Skin, The Brunettez
von Freiherr Von Zeit

Das neue Jahr beginnt erst mal mit einer Hilfsaktion für alte Schäden. Da lassen die Zugezogenen die Stadt über Weihnachten in Ruhe, schon gibt es Unheil. So wurde das legendäre Rauchhaus bei einem Brand in Mitleidenschaft gezogen. Anlass für einige Bands ein Solidaritätsfestival im  SO36 aufzuziehen. Am Einlaß wird mit freundlicher Drohung darauf hingewiesen, dass der Fünf Euro Preis freiwillig erhöht werden soll. Ok, bei dem Programm und Anlaß gerechtfertigt.
21:00 Uhr ist der Saal bei „The Bottrops“ Zwei Drittel gefüllt. Locker flaniert es sich Richtung Bühne. Die ehemalige „Terrorgruppe“ hat einen guten Sound erwischt. Für das So36 keine Selbstverständlichkeit. Ironischer, melodischer Deutschpunk, nach einer knappen halben Stunde ist der Gig vorbei. Darauf ein „Prost auf das Ruhrgebiet“ und weiter geht es mit „A Pony Named Olga“. Rockabilly mit Punkeinschlag, der auf der großen Bühne ein wenig verloren wirkt. Da kann der Kontrabassist auf sein Instrument steigen, in den hinteren Reihen springt der Funke nicht über. Schade, denn „A Pony Named Olga“ können in kleineren Sälen begeistern, das Publikum zum Kochen bringen. Für den eigentlichen Headliner „Jingo de Lunch“ beginnt jetzt das Gedränge, der Schuppen füllt sich ordentlich. Es läuft die typische Kreuzberger Mischung auf. Gestandene Persönlichkeiten die sich in den letzten Jahrzehnten erfolgreich in den Bereichen Lebenskunst und Wirtschaftspolitik (Gebr. Blattschuß) etabliert haben. Wobei auch eine Menge weniger zerknitterter Nachwuchs Bühnenrand oder Theke bevölkert. Obwohl „Jingo de Lunch“ inzwischen „älter als Kohle“ (O-Ton Besucher) ist, knallt die Band noch ordentlich. Sängerin Yvonne Ducksworth wirkt topfit, wirbelt wie ein Derwisch. Der Minigig zeigt wieder, das „Jingo“ auf Dauer die wichtigste und berühmteste Band Kreuzberg ist. Fällt jemanden was anderes ein? Nach einer furiosen halben Stunde leert sich der Saal erheblich. „The Brunettez“ müssen sich ihr Publikum hart erkämpfen. Vier Mädchen in enge Kleidchen gezwängt, kann nicht schief gehen. Der Gesang  klingt richtig schief, die Gitarren holpern vor sich hin. Doch der Charme der Mädels macht das mehr als wett. Auf einer kleinen Bühne kann sich die Band durchaus als Riesenspaß entpuppen. Als dieser erweist sich heute „Kumpelbasis“. Die Kapelle mit dem bescheuertem Namen ist die positive Überraschung. Bislang über ihren Toten-Hosen-Sound gelächelt, zeigt ihr Stadionrockpunk hier die Präsenz, die für das recht große So36 erforderlich ist. „Kumpelbasis“ erreicht auch die Leute in den hinteren Reihen. Den Abschluß bildet „Cut My Skin“. Ebenfalls schon seit gefühlten Ewigkeiten aktiv, wird treibender Punkrock geboten. Sängerin Patti Pattex hüpft wie ein Flummi über die Bühne. Textlich bewegt es sich in den klassischen Klischees des politisch korrekten Kreuzbergpunks, d.h. gegen Nazis, Spekulanten, Vergewaltiger, Fleischfresser usw.usf.. Richtig so, aber auf Dauer zu viel.
Was fehlt ist ein abschließendes Finale mit allen beteiligten Bands und dem „Rauchhaussong“.

03.11. Festsaal Kreuzberg: Dum Dum Girls
von Sonnidee

Heute Zahnspangenpop. Die Verbindung mit „alte Leute Punk“ kommt über die Selbsteinschätzung der „Dum Dum Girls“. Die Mädchen wollen  Musik machen, die klingt als würden sie mit den „Ramones“ abends ausgehen. Das ist doch mal ne Ansage.
Erst mal muß vor der Vorband „Mystical Communication Service“ entschieden gewarnt werden. Wer den Namen in einer Ankündigung liest, sollte nicht hingehen oder Ohrenstöpsel, Kabelschneider und faules Obst mitnehmen. Ganz üble Waldschrate nerven mit Psych Folkrock. Lieber im Hof des Festsaals frieren als diesen Hippieschrott ertragen. Welche schwachsinnige Agentur hat diese völlig unpassenden Relikte gebucht. Viele im Publikum sind entsetzt. Dieses ist jünger, adretter als bei den letzten beschriebenen Konzerten, der Frauenanteil erheblich höher. Neue Band, die ständig im Radio dudelt zieht eben Hipster an.
Dann endlich steigen die Mädels auf die Bühne. Mit klassischer Viererbesetzung wird Garagepop mit zuckersüßem Gesang geboten. Klingt wie eine Mischung aus 60er Jahre Girl Group a la „Ronettes“ oder „Shangri – Las“ und den „Ramones“. Die Frisuren sind ebenfalls der New Yorker Punklegende entlehnt, oder vielleicht Mireille Mathieu. Dafür haben die „Dum Dum Girls“ jedoch die tieferen Ausschnitte. Bewegung auf der Bühne gibt es, ganz wie bei den großen Vorbildern, kaum. Jedes Bandmitglied steht mit ihrer Gitarre vor dem Mikro und trällert hinein. Im Laufe der Show wird sich auch mal kurz angerempelt, das ist dann schon das wildeste auf der Bühne. Richtiger Punk ist eben was für böse Jungs, die Mädels hier wollen die harten Typen mit großen Augen anhimmeln, mit ihnen ausgehen. Das Konzept, die Attitüde ist großartig. Seit den japanischen „Shonen Knife“ Anfang der 1990er nicht mehr so viel Spaß an kleinen „Ramones“-Schwestern mehr gehabt. Gecovert wird aber, welch Überraschung, „There Is  A Light That Never Goes Out“ von „The Smith“. Nach einer Dreiviertel Stunde, der Gig ist in voller Fahrt, da kommt das abrupte Ende. Die Besucher fordern ausdauernd eine Zugabe ein. Doch es kommt nichts. Nur kurz blickt die Sängerin hinterm Vorhang hervor, macht Richtung Mischpult ein „Halsabschneiderzeichen“. Stimme weg, oder wie soll dies gedeutet werden. Schade, denn einer ihrer großen Hits, „Jail La La“, fehlte bislang.

27.10.11 Cassiopeia:  The Last Resort, The Suburbs

Letztens John Kings Hooliganepos “The Football Factory” zu Gemüte geführt. Eine der wenigen Bands die dort namentlich erwähnt werden sind “ Last Resort”. Wie der Zufall es so will, grinst einen die Konzertankündigung beim Spaziergang an, kaum hat man den Roman in Schrank gestellt. So ist heute nicht nur die musikalische Komponente interessant, sondern es greift auch der Kitzel was für ein Publikum auftaucht. Vorsorglich wird ohne Vereinsnadel das Cassiopeia angesteuert. Nicht dass irgendein Althauer in jugendlicher Anwandlung ruppigen Versuchungen erliegt. Als Anhänger des FC Millwall haben „ Last Resort“ sich auch nicht gerade den zahmsten Club Londons ausgesucht.
Am Veranstaltungsort angekommen, ist es dann doch völlig entspannt. Der eine oder andere Besucher gibt sich als Fan deutscher oder englischer Vereine zu erkennen. Jedoch keine Spur von zwiellichtigen Gestalten oder breitschultrigen Zweimeter-Recken mit Kampfstudioabonnenemt. Eher die übliche Mischpoke, die bei Bands aufläuft deren Historie in Jahrzehnten gezählt wird. Erste Band verpasst, so geht es gleich mit den „ Suburbs“ los. Druckvoller, hymnischer Streetpunk Marke 1980. Der Sänger interagiert recht ordentlich mit dem überschaubaren Publikum. Als Oi-Punker lässt er kein Klischee aus. Glatze, Fleischerhemd und von Hosenträger und Gürtel gehaltene Jeans, die so nicht von der imposanten Wampe rutschen kann. Die Stimme erinnert in manchen Momenten an Charlie Harper von „U.K.Subs“. Als Zugabe gibt es eine Nummer von „The Clash“. Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist ein guter Gig absolviert.
Anschließend „Last Resort“, oder was nach Bandpausen und verschiedenen Umbesetzungen von übrig blieb. Inzwischen ist der Konzertraum ordentlich gefüllt, steht aber noch locker. Ne gute Hundertschaft alter Kerle mit Glatze. Oft Natur, manche geschoren. Eine Handvoll aufgemotzter Püppis mit Schleife im Haar komplettiert das Auditorium.  Der Sänger macht von Anfang an Bewegung auf der Bühne, kommt schnell ins Schwitzen. Heißt, eins zwei drei – oberkörperfrei. Hatte anscheinend in seinem langen Leben viel Zeit. Es gibt kaum eine nichttätowierte Stelle auf der Haut. Der Sound klingt reifer, gediegener als bei der Anheizerkapelle. Ab und zu gniedelt ein überflüssiges Gitarrensolo dazwischen. Eine Marotte, die schon öfter bei englischen Punklegenden nervte. Dafür dürfte die Geschwindigkeit ab und zu erhöht werden. So stehen die Besucher eher ruhig da, der Pogokreis ist überschaubar und nicht wild. Der Applaus nach den Songs ist freundlich, jedoch nicht aus der Kategorie „frenetisch“. Trotz der Abstriche ist es ein gutes Oi-Konzert. Die Songs haben ihre Zeit überdauert, können von einer handwerklich sicheren Band nicht kaputt gespielt werden. Allerdings haben andere Legenden schon mehr Begeisterung hervorgerufen. Inklusive Zugabe ist nach einer knappen Stunde finito.

08.10.11 Wild at Heart: Plexies, Applejuice


Tapfer erträgt Kreuzbergs Wiener Straße den andauernden Nieselregen. Kein Wetter für Flaneure. Es sei denn, man möchte im „Wild at Heart“ einen tschechischen Länderpunkt ergattern. Viele Gelegenheiten wo Prager Punkbands in Berlin spielen gibt es ja dafür nicht. Mit den „Plexies“ ist eine Kapelle annonciert, die schon seit 1984 existiert. Das Interesse der Kreuzberger an Punkrock zu Ostzeiten ist sehr überschaubar. Als die Vorband „Applejuice“ die Bühne betritt, bewegen sich vielleicht 20 Leute in den kleinen Konzertraum. Das Gros spricht tschechisch, ist mit der Band bekannt. An der Kasse werden sie keine 100 Euro eingenommen haben. Eine gute halbe Stunde wird sich mit treibendem, konventionellem Punkrock durchs Programm geknüppelt. Stimmung ist da, Zugabe wird verlangt, aber nicht gegeben. Komisch.

Allerdings klärt sich dies auf als „Plexies“ auftauchen. Die bestehen aus Zwei Drittel „Applejuice“. Klar, da will sich keiner vorzeitig verausgaben. Der Sänger ist jetzt ein Altpunk mit Stachelfrisur, Sexpistols-Shirt und vorschriftsmäßig gelöcherter Hose. Inzwischen dürfte sich die Besucherzahl verdoppelt haben. Wie es sich für eine Uraltband gehört, sind ein paar zerknitterte Typen inzwischen aufgetaucht. Weiter geht es mit dem gleichen Sound. Zweiter Titel ist eine „Dickies“-Coverversion, was denn gleich Stimmung in die Bude bringt. Platz ist da, also kann sich anständig bewegt werden. Fällt der tschechische Singsang bei „Plexies“ eigenen Titeln nicht weiter auf, so ist er bei Coverversionen doch ungewohnt. „Gonzo goes to Bitburg“ von den Ramones ohne einen verständlichen Brocken ist shon ungewohnt. Der Gig dauert ca. eine Stunde und hinterlässt schwitzende, glückliche Menschen die bei der anschließenden Disko chillen, tanzen, trinken. Geboten werden hier auch konsequent oldschool Hits, die schon bei der Eröffnung des „Wild at Hearts“ liefen. Die frischeste Nummer ist „Pixies - Where Is My Mind“. Sonst fein Kim Wilde, B`52s, Dead Kennedys, Blondie, Iggy Pop usw, usf.

16.09.11 S0 36: Swinging Utters, The Flatliners

Schon wieder “Swinging Utters”, die haben doch, gefühlt, erst vor zehn Wochen im Clash gespielt. Damals verpasst, wahrscheinlich war das famose DFB-Pokalfinale im Weg. Die restlichen Freunde des gepflegten Punkrocks haben sich die Amerikaner anscheinend damals angeschaut. Anders ist der maue Zulauf aufs So36 nicht zu erklären. Die erste Band „Astpai“ ist vorbei, als wir den immer noch leeren Saal entern. Wird  gleich genutzt und  sich mit Ankunft der „Flatliners“ nah an die Bühne gestellt. Jetzt braucht man kein Angst haben, dass einem ein crowd surfer auf den Kopf fällt. „The Flatliners“ produzieren ganz ordentlichen 90er Jahre Amipunk, der nach dem „Epitaph“-Label klingt. So langsam füllt sich der Laden, paar bekannte Gesichter tauchen auf. Wie erwartet, sind die Fans heute eher in den Dreißigern, zahnlose Gesellen sucht man vergebens. „Swinging Utters“  bieten furiosen Calipunk, eben das Erfolgsmodell der Neunziger Jahre. Die Songs brettern hübsch durch, erinnern, vor allem gesanglich, an frühe „Clash“. Immerhin verzichten die „Swinging Utters“ weitgehend auf Reggaeeinflüsse was ja „Clash“ alsbald unmöglich machte. Gegen Ende des Konzerts gibt’s bei zwei Titeln skaartige Intros. Das erinnert jedoch an „NOFX“, ist somit von der strengen Geschmackspolizei gestattet. Wie üblich im So36 ist der Gig Mitternacht beendet, die Nachbarn sind müde. Hat sich mit er installierten Lärmschutzwand nichts geändert. Oder ist die noch nicht fertig? Zumindest ist die Lautstärke für ein Punkrockkonzert auch dieses Mal ausbaufähig gewesen. Wenn Punki, dann auch mal wieder richtig Krach.

07.09.11 Wild at Heart: The Freeze

“The Freeze” im Kreuzberger “ Wild at Heart”, in den letzten Jahren keine Liebesbeziehung. Mehrmals wurde die Bostoner Hardcorelegende angekündigt und fand nie den Weg nach Berlin. Kurzfristig gab es kuriose Ausreden a la Visaprobleme, Flugtickets verbummelt oder was auch immer. So wird täglich auf der clubeigenen Homepage fahndet, welches Malheur diesmal dem Auftritt im Wege steht. Das Konzert findet im Rahmen der vom Senat gesponserten „Berlin Music Week“ statt. Damit sind anscheinend genügend „Argumente“ beisammen, nach Europa zu fliegen. Ist das noch Punk wenn Wowi zahlt? Egal, “The Freeze” kommen wirklich, stehen gegen Elf auf der Bühne und brettern direkt los. Treibender Hardcorepunk Anno 1982. Der Kultsampler “This Is Boston Not L.A.“, der damals auch “The Freeze”  promotete, klingt nicht so zuckersüß wie die kalifornische Punkvariante. Der Sänger tritt Oberkörperfrei auf, die Wampe hängt über dem Hosenbund. Als Legende dürfen die Jahre ruhig Spuren hinterlassen. Nach einer Viertelstunde wird der Druck noch einmal erhöht. Die Besucher im ordentlich gefüllten Saal reagieren ausgelassen. Alte Band bedeutet natürlich auch Alte Säcke im Publikum. Dementsprechend geht es gesittet zu. Anstrengungen, wie übermäßiger Pogoeinsatz oder Crowdsurfen werden weitgehend vermieden. Es ist ohne Bewegung warm genug. Das empfindet auch die Band so. Keine Stunde ist gespielt, da ist Schluß. Als Zugabe ringen sich die alten Männer gerade noch ein Lied ab. Mehr Energie haben sie nicht, sehen fertig aus. Was solls, die gespielte Zeit war jedenfalls famos.

16.08.11 So36: Off!, Fucked Up

Im Punkrockanwesenheitsheft wieder ne Legende abhaken. Heute Keith Morris, der echte Sänger von „Black Flag“ bevor Henry Rollins da sein Unwesen trieb. Im Schlepptau hat er seine neue Band „Off!“ in der ebenfalls alte Haudegen von ehemals „Redd Kross“ oder „Rocket From The Crypt“ mitspielen. Der Mann ist lebende Musikgeschichte, das zieht auch den einen oder anderen jüngeren Kollegen an. Das Vorbild mal in echt sehen. Auch sonst lungern wieder die Typen rum, die man seit Jahrzehnten immer wieder bei Shows sieht. Wird bald Zeit für die Geschäftsidee „Punkrockaltersheim“. Gepircte Sozialhelferinnen, tätowierte Krankenschwestern gibt es zur Genüge und Sonntags spielt „Popperklopper“ im Essensaal. Zurück zu „Off!“, Morris könnte wahrscheinlich auch bald in so einem Haus wohnen. Mit langen Harren um die Glatze drapiert, sieht er aus wie Udo Lindenberg ohne Hut. Aussehen ist überbewertet, die Band ist Klasse. Ein Minutenstück nach dem anderen wird durchgeprügelt. Klar die Stimme macht`s, es ist der „Black Flag“-Sound der frühen Platten. Zwischendurch benötigt der Held aufgrund der rasenden Geschwindigkeit immer wieder Pausen. So wechselt sich Song mit Volksrede ab. Laber, Laber, Plapper Plapper. Das hat schon Jello Biafra Ausmaße. Der Knabe hat auch was zu erzählen, hat viel erlebt, viele kommen und gehen sehen. Aber heute ist nicht „spoken words“ Veranstaltung. Insgesamt ist das Set recht kurz. Vielleicht `ne halbe Stunde, aber bestimmt 20 Songs reingepackt.

Hauptband ist entgegen der Plakatankündigung „Fucked Up“. Angeblich wurde die Reihenfolge für die Tour gestern umgestellt. Die beginnen den Gig mit dem charakteristischen „Queen Of Hearts“. Ein brüllender Shouter duelliert sich mit melancholischen Engelsgesang der Gitarrenfraktion. „Fucked Up“ dürften mit ihrem Hardcore trifft Shoegaze Konzept einzigartig sein. Eigentlich stehen zwei Bands auf der Bühne die gegeneinander spielen. Links Indiepop, rechts Hardcore, Trommler und Frontsänger führen den Sound zusammen. Es ist phantastisch wie eine „Poison Idea“ artige Härte von „Sundays“ mäßiger Schrammelei aufgefangen wird. Höhepunkt ist „The Other Shoe“, welches mit elegischem Frauengesang beginnt und die Frontsau sich mit einem ewig langen Mikrokabel ins Publikum begibt. Der Typ ist groß, fett und wälzt sich mit nacktem behaarten Oberkörper durch den Saal. Jeder darf mal ins Mikro brüllen, während von der Bühne Schöngesang antwortet. Es ist großartig wie Kraft und Energie sich mit Schüchternheit und Sphäre paart. Anschließend läuft der Gig nur noch aus. Koloß ist wieder auf der Bühne, der konventionelle New York Hardcore überwiegt bei den letzten Stücken.

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