sport inside: 'Ehrenwerte Gastgeber' - Über Ex-CBF-Boss José Maria Marin
Film von Fred Kowasch und Carsten Upadek
(sport inside - WDR - 15.04.2013 - 22:45 Uhr)
Brasiliens Fußballboss José Maria Marin muß sich den Fragen stellen (Screenshot: interpool.tv)
Teixeira, der im Weltverband FIFA lange Zeit die rechte Hand von Joseph Blatter war, musste im vergangenen Jahr wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten. Bei der Vergabe von TV-Lizenzen soll er mitkassiert haben – mindestens neun Millionen Schweizer Franken. Eine politische Untersuchungskommission soll das Korruptionsgeflecht aufklären. Teixeira hat sich nach Miami in die USA abgesetzt, soll von dort aber immer noch Kontrolle über den CBF ausüben. Der neue Verbandspräsident Marin wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Zu Zeiten der Militärdiktatur (1964 bis 1985) hat er sich nach oben gedient und soll mit verantwortlich sein für den Tod eines Journalisten. Die Diskussion schlägt in Brasilien hohe Wellen. Vor allem da sich der populäre Ex-Stürmerstar Romario, der heute als Abgeordneter im brasilianischen Parlament sitzt, den Fall Marin zur persönlichen Aufgabe gemacht hat. (Text WDR)
sport inside – 15.04.2013
Bericht: Fred Kowasch
Carsten Upadek
Kamera: Fred Kowasch
Schnitt: Marc van Heinsberg
Redaktion: Uli Loke
Länge: 09:09 min
Gerangel um das höchste Gut des brasilianischen Fußballverbandes.
Das Aufgebot des Rekordweltweltmeisters. Für ein Freundschaftsspiel. Doch eigentlich hat man hier ganz andere Sorgen. Dem Verband von Präsident José Maria Marin droht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß. Im Raum stehen Unregelmäßigkeiten, auch der fragwürdiger Umgang mit Steuergeld in den letzten Jahren. Marin hat keine Lust auf ein Interview. Zufällig passen wir seinen Stellvertreter ab, wollen wissen was sich nach dem Rücktritt von Vorgänger Ricardo Teixeira – er mußte nach Korruptionsvorwürfen gehen - verändert hat.
Marco Polo del Nero (Vize-Präsident CBF)
"Beim CBF hat sich nur der Präsident geändert. Teixeira ist gegangen, Marin ist gekommen.
Das Management ist die Gleiche. Die Projekte sind die Gleichen. Nur die Person hat sich geändert, für Ricardo kam Marin. Das ist alles."
- „...so e isso."
Sind sie besorgt wegen der anstehenden Untersuchungskommission in der Hauptstadt Brasilia?
Pressesprecher Rodrigo: „Essas coisas a gente..."
Die Fragen sprechen wir vorher ab ....
- „... a gente combina."
Del Nero: „Nao sou nao..."
Bin ich nicht.
Brasiliens stellvertretender Fußballpräsident wird weggezerrt. Man ist sichtlich nervös. Ein neuer parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist – gut ein Jahr vorder WM – das Letzte, was man braucht.
Marins Vorgänger Ricardo Teixeira sah sich in seiner 23jährigen Amtszeit immer wieder Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. 2001 ermittelten allein zwei Kommissionen. Sie bescheinigten dem Fußballverband - wörtlich - ein krimineller Ort zu sein, in dem die Korruption blüht. Insbesondere Teixeira bediente sich aus der Verbandskasse. Doch Folgen hatte das nicht.
Sérgio Rangel (Journalist, Folha de S. Paulo)
„Einer der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse beschrieb mehr als zehn Straftaten, Steuervergehen, Bilanzbetrug. Allerdings wurde der Bericht politisch nie bestätigt. Denn Teixeira war politisch zu stark, zu gut mit den Abgeordneten verbunden, die den Bericht bestätigen hätten müssen." 7:15 a bancada nao aprovou o relatorio."
Eine Anklage gegen Teixeira hatte die Staatsanwaltschaft schon erhoben. Der Vorwurf: Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Ein Gerichtstermin stand bereits fest
– ein Verfahren gegen Teixeira gab es in Rio nie.
Ricardo Teixeira – lange Zeit war er im Weltfußballverband FIFA die rechte Hand von Josef Blatter. Bis die ISL-Affäre seine FIFA-Karriere beendete. Denn Teixeira und sein ehemaliger Schwiegervater Joao Haverlange – selbst über zwei Jahrzehnte an der Spitze der FIFA – kassierten bei der Vergabe der TV-Lizenzen für die Fußballwelt-meisterschaften Millionenprovisionen. Sprich Schmiergeld. Havelange – so steht es in Ermittlungsunterlagen der Schweizer Staatsanwaltschaft Zug bekam 1,5 Millionen, Ricardo Teixeira soll insgesamt über 9 Millionen Schweizer Franken kassiert haben.
Teixeiras Nachfolger Marin hat damit kein Problem. Am Rande einer Werbeveranstaltung des Hauptsponsors der brasilianischen Nationalmannschaft gibt der 80-jährige sport inside dann doch noch ein kurzes Interview. Für ihn sind Teixeiras Machenschaften Teil des Fußball-Buisness.
José Maria Marin (Präsident des CBF)
„Wer bedeutende Posten besetzt hat wie er, Präsident des brasilianischen Fußballverbandes, der südamerikanischen Fußball-Konföderation, Posten in der FIFA, gibt irgendwem [fängt an zu stocken] immer Motive für irgendwelche Kritik. Ich verstehe das, das ist natürlich. Das ist Teil der Fußball-Welt."
Teil der Fußball-Welt. Teixeira besitzt in Brasilien immer noch zahlreiche Häuser und Ländereien. Wie dieses Anwesen in der Nähe von Rio. Nach seinem Rücktritt vor einem Jahr ging er ins Exil nach Miami. Auch um einer neuerlichen Strafverfolgung in Brasilien zu entgehen. Ein ein Quadratkilometer großes Anwesen in Brasilien lässt er derweil in Schuß halten. Zur Sicherheit fährt die örtliche Polizei regelmäßig Streife.
Der Journalist Sergio Rangel verfolgt die Machenschaften im CBF schon seit Jahren. Er hat die Korruptionsvorwürfe gegen Teixeira recherchiert, die letztendlich zu seinem Rücktritt führten. Für ihn zieht Ricardo Teixeira im brasilianischen Fußball noch immer die Fäden.
Sérgio Rangel (Journalist, Folha de S. Paulo)
„Noch immer hat er sehr viel Einfluss. Er verwaltet den CBF. Aus der Ferne kümmert er sich um alle finanziellen Belange des Verbandes, der Verträge. Jeden Tag meldet er sich bei den Direktoren des Verbandes, um zu wissen, wie die Bilanz ist, wie die Geschäfte laufen, wer bezahlt was... Er ist noch immer derjenige, der im Verband das Sagen hat."
José Maria Marin (Präsident des CBF)
„Texeira hat viele Freunde zurückgelassen. Er ist unser Freund. Wir haben das beste Verhältnis. Er hält Kontakt. Auch über die Distanz hin arbeitet er zusammen mit dem Fußballverband. "
Der brasilianische Fußballverband CBF ist einer der mächtigsten der Welt. Sein Aushängeschild: die Salecao. Die Nationalmannschaft, die bisher fünfmal den WM-Titel gewann. Zuletzt 2002 gegen Deutschland. Erfolg, der sich vergolden lässt. Über 100 Millionen Dollar erhält der CBF jährlich von seinen Sponsoren. Und die WM 2014 soll das Ganze krönen. Mit dem Titel im Maracana. Und damit auch Verbands- und WM-Organisationschef Marin.
Wenn da nicht diese Geschichte aus seiner Vergangenheit wäre, die aktuell für Aufregung sorgt. Eine Geschichte aus einem der dunkelsten Kapitel Brasilien – der Zeit der Militärdiktatur. Vor allem in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden in Brasilien Oppositionelle unterdrückt, eingesperrt und gefoltert. Einige überlebten diese Tortur nicht. José Maria Marin machte Karriere in der Diktatur, war damals Abgeordneter von Sao Paulo, später Gouverneur des Staates.
José Maria Marin (Chef des WM-OK-2014)
„Man kann nicht kritisieren, dass ich Gouverneur meines Staates war. Es war eine große Ehre, ja wirklich eine große Ehre in meinem Lebenslauf als Ex-Fußballer, dass ich es bis zum Gouverneurs meines Staates gebracht habe."
In diesem Plenarsaal hielt am 9. Oktober 1975 der heutige WM-OK-Chef eine Rede, die offensichtlich weitreichende Folgen hatte. Heftig kritisierte er die Arbeit des bekannten Journalisten Vladimir Herzog. Herzog war damals Chefredakteur des einflussreichen Fernsehsenders TV-Cultura.
Zwei Wochen nach Marins öffentlicher Rede im Parlament wird der Journalist Vladimir Herzog auf dieses Polizeirevier in Sao Paulo vorgeladen, in einem Nebengebäude vom Militär verhört und gefoltert. Am nächsten Morgen wird der Journalist in dieser Zelle tod aufgefunden. Vladimir Herzog soll sich erhängt, das Leben genommen haben. So lautet jahrelang die offizielle Regierungsversion. Heute weiss man, er wurde von der brasilianischen Militärdiktatur umgebracht.
Ivo Herzog (Sohn von Vladimir Herzog)
„Marin hat meinen Vater nicht ermordet, aber er war eine der Personen, die die Aktionen des Staates unterstützt haben. Die sich gegen Menschen wandten, die einfach das Recht der Freiheit, der Meinungsfreiheit wollten, das Recht auf Demokratie."
Der Fall Marin beschäftigt in Brasilien mittlerweile die Öffentlichkeit. Zumal sich der Weltmeister und einstige Stürmerstar Romario in die Diskussion eingeschaltet hat. Romario ist in Brasilien nach wie vor ungeheuer populär. Mittlerweile ist aus dem Fußballweltmeister von 1994 ein Abgeordneter des nationalen Parlamentes in Brasilia geworden. Dort hat er sich den Fall des brasilianischen Fußballpräsidenten zur persönlichen Aufgabe gemacht.
Romario
„Wie kann es sein, dass wir es verdient haben, an der Spitze unseres meist geliebten Sportes, .... eine Person zu haben, die verdächtigt wird, auch indirekt, in Folter, Mord und Unterdrückung der Demokratie verwickelt zu sein?"
In Kürze schon soll sich Marin zu diesen Vorwürfen vor der Wahrheitskommission äußern. Einer Einrichtung des brasilianischen Parlamentes, dass sich die Aufklärung der Diktatur zur Aufgabe gemacht hat. Via Homepage des Verbandes lässt der CBF-Boss dieser Tage schon einmal schriftlich erklären was er von der öffentlichen Diskussion hält.
ZITAT:
„Das ist offensichtlich eine nur auf Lügen basierende Kampagne, geschmiedet in skrupelloser Art, mit einem faschistischen Beigeschmack, der an die Taktiken von Goebbels erinnert".
Ivo Herzog (Sohn von Vladimir Herzog):Wie kann diese Person Gastgeber sein für dieses Land, dass Führungspersönlichkeiten aus so vielen demokratischen Ländern der Welt empfängt? Wie kann uns diese Person repräsentieren? Das enttäuscht und empört mich extrem."
Mittlerweile haben Ivo Herzog und Romario den brasilianischen Fußballboss zum Rücktritt aufgefordert. Es ist gut möglich dass seine Tage als CBF-Präsident und Chef des WM-Organisationskommitees gezählt sind.
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